Flüchtlinge: Mittelosteuropäer zerpflücken Quoten-Vorschlag

Archivbild: Grenzkontrollen in Nickelsdorf
Archivbild: Grenzkontrollen in Nickelsdorf APA/ROBERT JAEGER
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Staaten sollen sich für 250.000 Euro pro Flüchtling "freikaufen" können. Er frage sich, ob die Kommission das wirklich ernst meine, sagt Polens Außenminister.

Die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei haben den Vorschlag der EU-Kommission für eine solidarischere Verteilung von Flüchtlingen unter den EU-Staaten kritisiert. Dieser Vorschlag sieht auch Strafzahlungen für Länder vor, die keine Flüchtlinge in einer Krisensituation aufnehmen wollen.

Er frage sich, ob die Kommission das wirklich ernst meine, sagte der polnische Außenminister Witold Waszczykowski am Mittwoch in Prag. Sein tschechischer Kollege Lubomir Zaoralek sprach von einer unangenehmen Überraschung, während der ungarische Außenminister Peter Szijjarto die Quoten-Vorschläge als Erpressung verurteilte. Der slowakische Innenminister Robert Kalinak, dessen Land schon vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das EU-Quoten-System zur Flüchtlingsverteilung klagt, nannte den Kommissionsvorschlag realitätsfern.

Die Brüsseler Behörde schlug am Mittwoch einen automatischen Asyl-Mechanismus im Zuge der Reform des Dublin-Systems vor. Wer nicht mitmacht, müsste 250.000 Euro Strafe pro Flüchtling bezahlen.

"Status Quo keine Option"

Entsprechende Referenzwerte zur Aufnahme von Asylbewerbern sollen demnach für alle EU-Staaten aufgrund der beiden Kriterien Bevölkerungsgröße und Wirtschaftsleistung errechnet werden, die zu je 50 Prozent gewichtet würden. "Wenn die aktuelle Flüchtlingskrise eines gezeigt hat, dann das, dass der Status Quo des gemeinsamen europäischen Asylsystems keine Option ist", sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. Überschreiten die Asylanträge den jeweiligen Referenzwert eines EU-Staates zu 50 Prozent, soll der Umverteilungsmechanismus künftig automatisch einsetzen.

Freikaufen von ihrer Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen könnten sich die EU-Staaten aber nur "unter außergewöhnlichen Bedingungen, wenn einzelne Mitgliedsländer nicht in der Lage wären, ihren fairen Anteil zu übernehmen", sagte EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans. Der Freikauf wäre begrenzt und zeitlich befristet. Mit Geld allein wäre das Problem nicht zu lösen, sagte Timmermans. Er konzedierte, dass die 250.000 Euro-Strafe bei der Nichtaufnahme eines Asylwerbers für ein EU-Land schon "teuer" wäre. "Aber ich glaube, um Solidarität mit denjenigen Staaten zu zeigen, die sich das aufbürden, ist das nicht zu viel verlangt."

Briten, Iren und Dänen ausgenommen

Großbritannien, Irland und Dänemark müssen aufgrund von Ausnahmeregelungen nicht mitmachen, für sie würde das bestehende Dublin-System weiter bestehen. Auch die bisher beschlossene, aber nur schleppend vorankommende Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen in der EU soll nach den bisherigen Quoten weiter fortgesetzt werden. Der neue Mechanismus könnte drei Monate nach Inkrafttreten der neuen Dublin-Verordnung starten, hieß es in EU-Kreisen.

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Ulrike Lunacek, (Grüne) bezeichnete den Vorschlag zur Dublin-Reform als Rückschritt für die EU-Asylpolitik. "Auch weiterhin sollen Mitgliedstaaten wie Griechenland und Italien mit der Verantwortung für Schutzsuchende völlig allein gelassen werden. Und der Umverteilungsmechanismus, um den das Dublin-System erweitert werden soll, ist reine Augenwischerei", sagte Lunacek. Schutzsuchende aus sogenannten sicheren Drittstaaten, wozu jetzt auch die Türkei zähle, würden nicht eingerechnet. Entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs solle es auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge keine Ausnahme von den Zwangsrückführungen geben.

Der ÖVP-Europamandatar Heinz Becker nannte den Vorschlag von Strafzahlungen bei Nichtaufnahme eines Asylbewerbers "überfällig und fair". Es handle sich auch nicht um einen Strafcharakter, sondern eröffne die Möglichkeit zu flexibler Solidarität. Die EU-Innenminister sollten dies nicht blockieren.

Grenzkontrollen verlängert

Die EU-Kommission genehmigte unterdessen Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen die Fortsetzung ihrer Grenzkontrollen im Schengen-Raum für weitere sechs Monate. Eine entsprechende Empfehlung vom Mittwoch sieht allerdings ausdrücklich vor, dass Grenzkontrollen am Brenner nicht unter diese Genehmigung fallen. Kontrollen am Brenner müssten bei der EU-Kommission extra angemeldet werden und würden auf ihre Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit überprüft, erklärte die EU-Behörde. Österreich darf demnach seine Kontrollen nur an der Grenze zu Ungarn und Slowenien fortsetzen.

Die Brenner-Frage wird nach Ansicht von Avramopoulos bilateral zwischen Österreich und Italien gelöst. Eine Rückkehr zum Schengen-System sei "nur eine Frage der Zeit. Bis Jahresende wird das Schengen-System wieder voll normalisiert sein".

Das Innenministerium hat am Mittwoch einmal mehr betont, für den Fall eines verstärkten Flüchtlingszuzugs aus Italien am Brenner Grenzkontrollen durchführen zu wollen. Die Entscheidung aus Brüssel sei  "kein Hindernisgrund neue Maßnahmen (an der Grenze zu Italien, Anm.) bei geänderter Lage einzuführen". Dem widersprach auch die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel nicht. Entsprechende Kontrollen "müssten gemäß des Schengen-Grenzkodex separat mitgeteilt werden", hieß es. Diese würden dann hinsichtlich ihrer "Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit" überprüft.

Die EU-Kommission begründete die Verlängerung mit "schwerwiegenden Mängeln", die in Griechenland trotz Fortschritten noch immer beim Schutz der EU-Außengrenze bestehen würden. Eine Suspendierung der Schengen-Mitgliedschaft Griechenlands schlägt die EU-Kommission aber nicht vor. Rechtsgrundlage für die Fortsetzung der Binnengrenzkontrollen im Schengen-Raum ist Artikel 29 im Schengen-Kodex.

(APA)

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