Manzione: „Straches absurde Aussage will ich gar nicht kommentieren“

Domenico Manzione
Domenico Manzione(c) ORESTE FIORENZA
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Italiens Migrationsstaatssekretär Manzione über Straches Vorschlag eines Südtirol-Referendums und die Brenner-Krise.

Die Presse: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wünscht sich in Südtirol ein Referendum über eine Wiedervereinigung Tirols. Wie sehen Sie das?

Domenico Manzione: So eine absurde Aussage will ich erst gar nicht kommentieren. Das klingt nach klassischem Wahlkampfgetöse.

Strache ist Chef jener Partei, aus der künftig der österreichische Präsident kommen könnte. Was bedeutet eine solche Haltung für das Verhältnis zwischen Italien und Österreich?

Warten wir mal den Wahlausgang ab. Aber grundsätzlich ist es eine Sache, nach starken Reaktionen mitten im Wahlkampf zu heischen, und eine andere, tatsächlich am Steuerruder zu sein. Da merkt man dann sehr schnell, was geht – und was nicht geht.

In der Brenner-Krise sind sich Bozen und Rom ungewöhnlich nahegekommen. Könnte Südtirol in dieser Krise zwischen Rom und Wien vermitteln?

Das passiert schon. Wir haben die Vertreter der Provinzregierung getroffen. Sie haben uns mitgeteilt, dass sie Verständnis für die Situation in Österreich haben. Zugleich haben sie uns versichert, dass sie alles unternehmen werden, um Druck auf Wien auszuüben, damit der Brenner nicht geschlossen wird. Das ist ihr Ziel: Sie wollen verhindern, dass alte Wunden wieder geöffnet werden. Genauso hat das Innenminister Angelino Alfano vergangene Woche auch Wolfgang Sobotka mitgeteilt. Er ist auf offene Ohren gestoßen. Wir sind deshalb vorsichtig optimistisch, dass die ganzen Vorbereitungen und Investitionen am Brenner nutzlos waren.

Rom kritisierte Österreichs Brennerpläne scharf. Nun heißt es auch aus Berlin, dass die Verantwortung bei Italien liege, Flüchtlingsströme Richtung Brenner einzudämmen. Was ist geplant?

Vermutlich sind innenpolitische Gründe ausschlaggebend für diese Aussagen. In Österreich stehen ja Präsidentenwahlen vor der Tür, in Deutschland gewinnen Parteien an Zulauf, die Zuwanderung kritisch gegenüberstehen. Beide Länder wälzen jetzt die Verantwortung auf uns ab: Es wirkt fast, als suchte man zwanghaft nach Gründen, den Brenner zu schließen. Es gibt derzeit aber keinen Grund: Die Flüchtlingszahl über das Mittelmeer ist im Vergleich zum Vorjahr konstant, es hat sich keine neue Route geöffnet. Und ich garantiere Ihnen: Alle Einwanderer, die in Italien stranden, werden registriert.

Kritisiert werden auch überdurchschnittlich lange Asylverfahren und dass Wirtschaftsflüchtlinge, die ausgewiesen werden sollten, in Italien bleiben. Befürchtet wird, dass diese Migranten in den Norden weiterreisen.

Wir arbeiten intensiv an einer effizienteren Aufnahme ins System: Die Verfahrensdauer wird verkürzt, Rückführungen sollen besser funktionieren – auch dank Kooperationen mit afrikanischen Staaten. Aber natürlich gibt es angesichts der hohen Zahlen bei den Rückführungen Schwierigkeiten, das kann kein Land allein schaffen. Schon lang fordern wir, dass die EU diese durchführt. Aber ich wiederhole: Es gibt keinen Grund für Grenzschließungen. Es kommen sogar mehr illegale Migranten über Österreich nach Italien als umgekehrt.

Bei diesen Zahlen widersprechen sich die Angaben: Rom spricht von rund 3000 Menschen, die heuer aus Österreich kamen, die Tiroler Polizei von mehr als 5600 illegalen Flüchtlingen in Tirol.

Es ist sehr schwierig, dies zu verifizieren. Aber von diesen 5000 Flüchtlingen in Tirol sollen etwa 3000 nachweislich aus Italien gekommen sein, der Rest aus Deutschland. Sollte das so stimmen, dann ist die Lage auf beiden Seiten der Grenze ähnlich. Aber genau um solche Widersprüche künftig zu verhindern, wollen unsere Polizeien enger kooperieren.

In Zügen vor dem Brenner dürfen derzeit österreichische und deutsche Polizisten mit italienischen Kollegen Kontrollen durchführen. Würde Rom die Kooperation beenden, wenn der Brenner geschlossen wird?

Nach jetzigem Stand werden wir das Abkommen verlängern. Aber die Prämissen ändern sich ja täglich. Sollte der Brenner geschlossen werden, könnte das Folgen haben. Wir schließen nichts aus.

Die meisten Flüchtlinge aus Österreich kommen über Kärnten nach Italien. Wird auch Italien Registrierungszentren an der Grenze in Friaul errichten?

Es gab solche Überlegungen. Derzeit besteht aber keine Notwendigkeit dazu, der Türkei-Deal hat die Flüchtlingsströme über die Balkan-Route gestoppt. Sollte aber dieser Deal platzen und sollten wieder mehr Flüchtlinge kommen, dann müssten wir neu diskutieren.

Also schließt auch Italien ein kontrolliertes Grenzmanagement nicht ganz aus?

Wir bleiben dabei: Es ist nicht produktiv, wenn EU-Staaten im Alleingang agieren und unilateral Notfallpläne entwickeln. Das führt nur zu politischen und wirtschaftlichen Schäden. Ganz abgesehen davon, dass die Migranten sich nicht von Zäunen stoppen lassen. Die Migrationsfrage löst man mit mehr, nicht mit weniger Europa.

Daran zweifeln viele: Zahlreiche Staaten in Mittel- und Nordeuropa kontrollieren ihre Grenzen.

Länder wie Italien, in denen die Flüchtlinge stranden, sind freilich exponierter und seit Jahren unter stärkerem Druck – deshalb pochen wir ja auch darauf, dass die Flüchtlingsströme nach Europa gezielt und kontrolliert gesteuert werden. Das geht aber nur durch Kooperation und gemeinsame Antworten.

Brüssel fordert Geldstrafen für Länder, die Flüchtlinge nicht aufnehmen. Ist das angesichts der Spannungen in der EU sinnvoll?

Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, sollte sich anders beteiligen müssen – da hat ein finanzieller Beitrag Sinn. Aber Italien geht der Vorschlag nicht weit genug. Wir fordern seit Jahren eine radikale Reform der Dublin-Verträge, damit Asylanträge nicht nur in Ländern gestellt werden müssen, in denen die Migranten stranden. Das ist angesichts des derzeitigen Migrationsdrucks nicht mehr tragbar. Absurd ist: Die Dublin-Asylregelungen gelten weiter, ohne dass die Aufteilung der Flüchtlinge funktioniert.

ZUR PERSON

Domenico Manzione ist im italienischen Innenministerium als Staatssekretär für Migrationsfragen zuständig. Der Jurist gilt als Experte für Strafrecht und EU-Recht. Vor seiner Ernennung zum Staatssekretär im Jahr 2013 arbeitete er lang in der Rechtsabteilung des Justizministeriums. Er hat auch zwei Romane veröffentlicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2016)

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