Polen: Druck der Straße gegen Kaczyński

Fast eine Viertel Million Menschen marschierte in Warschau für Europa und gegen die eigene Regierung.
Fast eine Viertel Million Menschen marschierte in Warschau für Europa und gegen die eigene Regierung.(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
  • Drucken

In Warschau versammelte sich die größte Demonstration seit Ende des Kommunismus 1989 zum Protest gegen die nationalkonservative Regierung: "Wir sind und bleiben in Europa."

Warschau. Die Transparente erinnerten an den antikommunistischen Arbeiteraufstand von 1980: „Freiheit, wir wollen Freiheit!“, „Lech Walesa – unser Held!“ und „PiS bedeutet Volksrepublik Polen“, hieß es 27 Jahre nach der demokratischen Wende auf den Plakaten der Opposition in Warschau. Mobilisiert vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) marschierten am Samstag Zehntausende vom Sitz des Ministerrats zum Präsidentenpalast.

Ein breites Spektrum von links bis konservativ sowie viele bisher unpolitische Bürger demonstrierten gegen den befürchteten Abbau der Demokratie und der Blockade des Verfassungsgerichts unter der nationalkonservativen Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). „Wir sind und bleiben in Europa“, lautete das Motto des vor allem gegen den PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczyński gerichteten Protestmarsches. Den Demonstranten gilt er als Drahtzieher hinter Regierungschefin Beata Szydlo und Staatspräsident Andrzej Duda.

„Weil es Polen so schlecht geht“

„Wir sind nicht hier, weil wir uns zusammen so toll fühlen, sondern weil es Polen schlecht geht“, sagte der rechtsliberale Ex-Präsident Bronislaw Komorowski. „Wir sind heute zusammen hier, um zu sagen, dass wir den Albtraum einer autoritären Regierung nicht zulassen“, unterstrich Oppositionsführer Grzegorz Schetyna von der Bürgerplattform (PO). „Wir stehen erst am Anfang eines langen Marsches“, sagte der Parteichef der im Oktober trotz wirtschaftlicher Erfolge abgewählten liberalen Regierungspartei.

Weil die Marschstrecke auch unter Touristen sehr beliebt ist, sah sich die Polizei nicht in der Lage, die Anzahl der Teilnehmer zu schätzen. Auf dem Pilsudski-Platz seien am Ende 45.000 Demonstranten gezählt worden, ließ die Polizei verlauten. Die der oppositionellen Bürgerplattform (PO) nahestehende Warschauer Stadtregierung sprach hingegen von 240.000 Demonstranten. Darüber entbrannte ein heftiger Streit. „Ihr könnt acht Jahre weiterdemonstrieren. Solange wir die Wahlversprechen halten, richtet uns nur das Volk“, höhnte ein Regierungspolitiker.

Umfragen zeigen, dass die PiS trotz ihrer umstrittenen Politik, die Brüssel zur Einleitung einer Rechtsstaatlichkeitsprüfung veranlasst hat, immer noch die weitaus beliebteste Partei in Polen ist. Seit den Wahlen vor einem halben Jahr hat sie keine Stimmenprozente abgegeben. Gleichzeitig hat der Bürgeraktivist und KOD-Gründer Mateusz Kijowski jedoch Kaczyński in der Beliebtheitsskala überrundet.

Kaczyński indes zeigte sich unberührt von der Machtdemonstration der Opposition. Gleichgültigkeit habe die Menschen auf die Straße getrieben, behauptete er. „Die Proteste sind Zeichen einer Unzufriedenheit mit dem Wahlergebnis“, lautet seine Analyse. „Es gibt kein Risiko für die Demokratie in Polen, das sagen auch unsere Gesprächspartner aus der EU.“

Auffallend war indes, dass das inzwischen völlig von der PiS kontrollierte Staatsfernsehen erstmals die ganze Demonstration zeigte, statt Aufnahmen zu wählen, die vorgaukeln, als hätten sich nur ein paar Hundert Menschen versammelt. Es handelte sich schließlich um die größte Demonstration seit der Wende von 1989.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.