Russland: Die Welt der Putin-Partei

Anders als seine Präsidentenpartei ist er nach wie vor beliebt: Wladimir Putin.
Anders als seine Präsidentenpartei ist er nach wie vor beliebt: Wladimir Putin. (c) APA/AFP/SPUTNIK/MIKHAIL KLIMENTY
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Die Kreml-Partei Einiges Russland veranstaltet am 22. Mai Vorwahlen, um das Volk für die Parlamentswahl im Herbst zu interessieren. Doch das Resultat soll berechenbar bleiben.

Moskau. An diesem Nachmittag ist bei der Diskussion im Fernsehstudio von „Moskau 24“ ein Wort ziemlich oft zu hören: sowerschenstwowat. Das russische System vervollkommnen, so die deutsche Übersetzung des Wortes, nicht kritisieren ist die Devise, auch beim Thema Korruption.

„In China werden jedes Jahr Dutzende korrupte Funktionäre erschossen, trotzdem kommen neue nach“, sagt ein Teilnehmer. „Strenge wirkt nicht.“ Der eine fordert eine mächtige Staatsanwaltschaft, der andere verspricht, sollte er gewählt werden, das „effektivste Justizsystem der Welt – ohne einen Rubel Mehrkosten“. Was den Kampf gegen die Korruption angehe, sei man „auf gutem Weg“, heißt es zum Schluss.

Sechs Diskutanten kämpfen um einen Platz an der Macht. Mithilfe der Präsidentenpartei Einiges Russland wollen sie bei den Wahlen im Herbst in die Staatsduma einziehen. Doch davor müssen sie sich bei den parteiinternen Primaries am 22. Mai durchsetzen.

Einiges Russland nennt man in Russland die Partei der Macht, weil sie die Mehrheit der 450 Sitze hält und den politischen Kurs der Führung in der Duma umsetzt. Da gilt es, auch bei TV-Debatten konstruktiv zu sein. Die Enthüllungen der Panama-Papers zu Offshore-Firmen in Kreml-Kreisen? Kein Thema. Die Vorwürfe der Opposition gegen Generalstaatsanwalt Juri Tschaika? Fehlanzeige.

Vervollkommnung lautet die Devise. Der Ablauf der Sendung folgt einer strengen Choreografie: Bürger sind nicht eingeladen, die Konkurrenten dürfen erst gar nicht miteinander reden, die bemüht wirkenden Fragen von professionellen Unterstützern im Publikum sind vorbereitet. Die perfekte Inszenierung einer Debatte: Einiges Russland redet mit sich selbst.

Wären morgen Wahlen, würde die Kreml-Partei zweifellos gewinnen. Eine Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums im Jänner 2016 ergab, dass 65 Prozent der Wahlteilnehmer für Einiges Russland stimmen würden. Das eigentliche Problem: Wahlen sind nach 16 Jahren Putin-Herrschaft uninteressant geworden. Nur ein Fünftel der Befragten würde „sicher“ teilnehmen, 30 Prozent „vermutlich“, ergab dieselbe Umfrage. Ein bisschen wenig.

Neues gemischtes Wahlrecht

Zur Teilnahme am herbstlichen Urnengang soll einerseits ein neues Wahlrecht motivieren: Anders als bisher wird nur die Hälfte der Plätze über die Parteiliste bestimmt, die zweite Hälfte durch Direktmandate. Zudem wurde die frühere Menschenrechtsbeauftragte beim Präsidenten, Ella Pamfilowa, zur Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission ernannt. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Wladimir Tschurow, wegen der Manipulationen bei der letzten Wahl 2011 als „Zauberer“ bekannt, gilt sie als integer. All das sind Signale der Öffnung in einem hermetischen System – wie ernst zu nehmend sie sind, ist bereits das Lieblingsstreitthema russischer Experten.

Grundsätzlich hat der Parlamentarismus kein gutes Image: Während 82 Prozent den Präsidenten gutheißen, wird die Arbeit des Parlaments von 57 Prozent als negativ beurteilt, so die Daten des Lewada-Zentrums vom April 2016.

Die Primaries von Einiges Russland, für die sich landesweit 2943 Kandidaten registriert haben, wirken wie eine Frischzellenkur für die nicht besonders beliebte Partei, die in der Öffentlichkeit als ein notwendiges Übel des Systems Putin gilt und von der Opposition gar als „Partei der Gauner und Diebe“ verhöhnt wird.

"Die Beliebtheit von Einiges Russland war nie besonders hoch", sagt die Moskauer Politologin Ekaterina Schulmann im Gespräch mit "DiePresse.com". "Die Partei nutzt die administrative Ressource und erhält dafür die loyalen Stimmen bestimmter Gruppen – öffentlich Angestellter, Polizisten, die Stimmen des Militärs und des Sicherheitsapparats." Und Schulmann gibt zu bedenken: "Je höher die Wahlbeteiligung, desto geringer der Einfluss dieser Gruppen."

Ebendieser Partei soll nun das Kunststück gelingen, ohne massive Fälschungen und trotz der Änderungen im Wahlmodus eine klare Mehrheit zu sichern. Schulmann: „Das Hauptziel ist, die Mandate, die die Partei selbst nicht einfahren kann, über befreundete Direktkandidaten zu erreichen.“ Mögliche nahestehende Kandidaten sind bekannte Persönlichkeiten, Geschäftsleute, Kulturschaffende oder „TV-Moderatoren, die loyal sind – sonst dürften sie nicht im TV auftreten“, so Schulmann. Sie gemeinsam sollen dann die präsidentielle Mehrheit in der Duma sichern.

Der propere Medienprofi

Ein präsentabler "befreundeter" Kandidat dürfte Georgij Smirnow sein, einer der sechs Diskutanten im „Moskau 24“-Studio. Der 40-Jährige wirkt wie der perfekte Schwiegersohn, proper und höflich. Smirnow ist Mitarbeiter des Ermittlungskomitees und Medienprofi, bekannt aus dem TV, wo er im Kanal RBK als Experte regelmäßig Stellung nimmt, zu Steuerfahndung oder dem Fall Yukos, alles im Auftrag seines Chefs, Alexander Bastrykin. Im Zuge der TV-Diskussion rät Smirnow, die westlichen Ratings über russische Korruptionsanfälligkeit zu ignorieren. „Sie sind Teil des Informationskriegs." In einem Schlager, der für seine Kampagne komponiert wurde, heißt es: „Er ist unser bester Kandidat.“

Offiziell können alle Wähler bei den Primaries mitstimmen, das Volk bestimmt die Sieger. Doch hinter den Kulissen findet ein harter Wettbewerb statt, bei dem sich nicht der Beliebteste, sondern diejenigen durchsetzen könnten, die den Rückhalt des Apparats haben. So deckte das Onlineportal Znak etwa geheime Absprachen in Tscheljabinsk auf, auch aus anderen Städten werden Grabenkämpfe berichtet. Der Parteitag im Juni dürfte letztlich der Ort sein, bei dem Interessen verschiedener Gruppen abgeglichen und die tatsächlichen Kandidaten bestimmt werden. Der Politologe Wladimir Gelman bezeichnete gegenüber der BBC die Primaries als „Camouflage“. Innerhalb von Einiges Russland fürchtet man offenbar, dass neue Gesichter ein Unsicherheitsfaktor sein könnten. Selbst wenn bei der Inszenierung der Vorwahlen größere Überraschungen sowieso ausgeschlossen sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2016)

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