Nato empört Moskau mit Ausbau von Raketenabwehrschild

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Das Bündnis eröffnete eine Basis mit Abfangraketen in Rumänien. Der Kreml tobt über die „Bedrohung für Russlands Sicherheit“.

Moskau/Bukarest/Wien. Die Nato hat in ihren östlichen Territorien am Donnerstag einen ebenso feierlich inszenierten wie militärpolitisch heiklen Schritt gesetzt: Auf der rumänischen Luftwaffenbasis Deveselu westlich von Bukarest nahe der Grenze zu Bulgarien wurde eine rund 700 Millionen Euro teure, von den USA betriebene Startbasis für Raketen zum Abfangen ballistischer Mittelstreckenraketen offiziell eröffnet. Die Basis, die schon seit 2015 operativ ist, ist Teil eines Raketenschildes, der ab 2018 das Gebiet der Nato in Europa sowie ein weites Umfeld vor Mittelstreckenraketen schützen soll.

Pläne dafür hatte man seit 2001 gewälzt und 2011 umzusetzen begonnen. Am Ende wird der Schild die Raketenbasis in Rumänien sowie eine in Polen umfassen, deren Bau in wenigen Tagen beginnt. Weiters zählen dazu (s. Karte) Schiffe mit ähnlichen Abfangraketen (schon jetzt liegen vier der US Navy vor Spanien), Frühwarnsatelliten, Frühwarnradars in der Türkei und das Kommandozentrum auf der US-Airbase Ramstein in Deutschland. Mehrere Nato-Staaten leisten weitere Beiträge, etwa die Niederlande, Dänemark und Deutschland, die Kriegsschiffe mit geeigneten Frühwarnradars ausrüsten.

Bei den Abfangraketen zu Land und zur See handelt es sich um solche des US-Modells Standard Missile (SM) von Raytheon. Je nach Variante haben sie Reichweiten horizontal bis zu etwa 185 Kilometer und 24 bis 33 km Einsatzhöhe (SM-2) oder mehr als 700 Kilometer Reichweite bzw. 500 km Maximalhöhe (SM-3). In Deveselu sollen vor allem SM-3 stationiert sein.

Die offizielle Ur-Idee des Schildes war, sich angesichts der Verbreitung weitreichender Raketen auch in „Problemländern“ wie Iran und Syrien gegen Angriffe aus dieser Region zu wappnen. Lange war Russland beteiligt, doch gab es technische und politische Probleme. Moskau argwöhnte, dass die Nato den Schild Russland entgegenhalten wolle, spätestens 2013 platzte die Kooperation.

Wo ist die Gefahr aus Nahost?

Nato-Chef Jens Stoltenberg betonte in Deveselu, dass der Schild „Russlands nukleare Abschreckung in keiner Weise untergräbt“. Es seien wenige Raketen in Rumänien, und das zu weit im Süden und in ungeeigneter Position, um russische Interkontinentalraketen zu treffen. „Es ist eine Bedrohung für Russlands Sicherheit“, sagte hingegen ein Sprecher des Kremls. Moskau fürchtet, dass der Schild seine nukleare Abschreckung dennoch zumindest teilweise entwerten würde. Zudem könnten die Frühwarnradars – primär das in der Türkei – startende Interkontinentalraketen in Russland früher als jetzt erfassen.

Kritiker geben auch zu bedenken, dass die Raketengefahr aus Nahost durch den Kollaps Syriens und das Atomabkommen mit dem Iran 2015 gebannt sei. Es heißt, dass der Iran die Flugweite seiner Mittelstreckenwaffen etwa vom Typ Ghadr und Sejjil (2000 bis bestenfalls 2500 km) nicht steigern werde (damit sind trotzdem noch etwa der Balkan und Teile Ungarns und Polens erreichbar). Der Iran soll übrigens auch Programme zum Bau noch weiter fliegender Raketen gehabt haben oder im Hintergrund immer noch haben, bis hin zu Interkontinentalwaffen. Dabei kam Teheran allerdings bisher offenbar nicht voran, im Westen wurde aber die Aussicht auf solche Raketen als Mitmotiv für den Raketenabwehrschild verkauft.

Selbst innerhalb der Nato gibt es Kritik am Abwehrschild: Angesichts der Krise mit Moskau sei die Basis in Rumänien „nicht hilfreich“, so ein deutscher General laut Tagesschau.

Warten auf Russlands Gegenzug

Moskau droht, „Iskander“-Raketen nach Kaliningrad an der Ostsee zu verlegen. Die fliegen zwar offiziell weniger als 500 km und gelten als Kurzstreckensystem. Es gibt aber eine stärkere Version bis 2500 km; diese ist zwar durch den Vertrag zur Abschaffung von Mittelstreckenraketen 1988 verboten, aber Moskau sagt, die USA hätten ja auch wieder ähnliche Waffen gebaut und der Vertrag (das INF-Abkommen) sei de facto hinfällig geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2016)

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