Song Contest: Russische Politik reagiert gereizt auf Jamala

Jamala bei ihrer Ankunft in Kiew begeistert empfangen.
Jamala bei ihrer Ankunft in Kiew begeistert empfangen.REUTERS
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Der Sieg der ukrainischen Sängerin Jamala wird in Moskau vielfach als „Politisierung“ des Wettbewerbs kritisiert. Aber auch ukrainische Politiker vereinnahmen den Sieg.

Nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte zieht der Song Contest (ESC) politische Kontroversen nach sich. Während die Fans der diesjährigen Gewinnerin, der ukrainischen Sängerin Jamala, in Kiew einen Heldenempfang bereiteten, dominierte in Russland Ärger über den Sieg des Nachbarn.

Das Finale hatte sich zum Zweikampf zwischen den politischen Kontrahenten Ukraine und Russland und ihren beiden sehr unterschiedlichen Interpreten entwickelt: Während Jamalas teils auf Englisch, teils auf Krimtatarisch gesungenes Lied „1944“ an die Verbannung der Krimtataren durch Stalin erinnerte und damit unausgesprochen die Annexion der Krim durch Russland 2014 thematisierte, bot Sergej Lazarew mit „You Are The Only One“ einen unbeschwerten Popsong samt technisch aufwendiger Bühnenshow. Zwar siegte er beim Publikumsvoting, bekam aber nicht genug Stimmen von der Jury. Jamala, die mit einer für den Songcontest auch ästhetisch untypischen Nummer angetreten war, schnitt sowohl bei der Jury als auch beim Publikum sehr gut ab. Lazarew setzte auf die Berechenbarkeit des Publikums, Jamala überzeugte mit Authentizität. Ihr Sieg hat gewiss nicht das ganze europäische TV-Publikum zum Unterstützer der Krimtataren gemacht, aber in ihrem Beitrag spiegelt sich sehr wohl ein Trend: Seit dem Ende der Trashwelle beim ESC geht es dort immer öfter in Richtung Ernsthaftigkeit und Qualität.

In Russland wittert man freilich nun auch an der kulturellen Front eine Verschwörung des Westens. Das begann gleich nach der Show, als die TV-Moderatoren erklärten, das Resultat spiegle den ideologischen Graben zwischen den russlandfeindlichen europäischen Eliten (sprich der Jury) und dem russlandfreundlichen „Volk“ wider.

„Die Musik hat verloren“

Etliche Politiker meldeten sich zum Ärgernis Jamalas zu Wort. Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Duma, beklagte die „Politisierung“ des Wettbewerbs und seine Ausrichtung nach „politischen Konjunkturen“. Der Tenor im Allgemeinen: Die Entscheidung der Jury sei zweifelhaft, Lazarew der eigentliche Sieger. Der hochrangige Außenpolitiker Konstantin Kosatschow behauptete, die Ukraine gehöre zu den Verlierern: „Die Musik hat verloren, denn es hat offensichtlich nicht die beste Komposition gewonnen. Der Song Contest hat verloren, denn statt eines ehrlichen Wettkampfes hat man politische Einstellungen ausgezeichnet.“ Außenamtssprecherin Maria Sacharowa sagte sogar, wer auf Sieg spekulieren wolle, solle doch nächstes Jahr mit einem Lied über Assad antreten: „Assad ist blutig, Assad ist der Schlimmste. Gebt uns den Preis, damit wir den Bewerb gewinnen.“

Doch auch in der Ukraine gibt es Stimmen, die Jamalas Sieg in nationalistisches Kapital umwandeln möchten. Der Parlamentsabgeordnete Anton Geraschenko, der zuletzt die Veröffentlichung persönlicher Daten von im Kriegsgebiet tätigen Journalisten als patriotische Großtat verteidigt hatte, drohte unliebsamen russischen Kulturschaffenden mit Einreiseverboten. Politikern wie ihm käme es vermutlich nicht ungelegen, würde Russland 2017 nicht am Wettbewerb teilnehmen, was ebenfalls eine Option zu sein scheint.

Jamala sagte bei ihrer Rückkehr, ihr Sieg bedeute, dass die Geschichte der Vertreibung der Tataren – „etwas, das man viele Jahre verdeckt hat und niemand hören wollte“ – nun gehört wurde. Das stimmt. Doch Aufgabe der Ukraine ist es nun, den Song Contest 2017 professionell zu organisieren: als Wettbewerb, bei dem sich alle Teilnehmerländer willkommen fühlen und der die angeschlagenen Finanzen des Landes nicht zu sehr belastet.

Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, erklärte, seine Stadt, in der der Song Contest bereits 2005 ausgetragen wurde, sei bereit. Doch es meldeten sich auch andere Bürgermeister, etwa von Lwiw (Lemberg) und Odessa, die den ESC gern in ihren Städten sähen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2016)

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