US-Außenminister Kerry unterstützte bei der internationalen Konferenz den Wunsch der libyschen Einheitsregierung nach Kriegsgerät. Eine westliche Intervention gegen IS scheint vom Tisch.
Wien/Kairo. Es sind drei der brisantesten Konflikte direkt vor den Toren Europas, über die seit gestern, Montag, bei einer internationalen Großkonferenz in der Wiener Innenstadt beraten wird: der Krieg in Syrien, die chaotische Lage in Libyen sowie die Krise in der zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittenen Region Berg-Karabach. Spitzenpolitiker aus mehr als 20 Ländern stehen auf der Einladungsliste des Treffens, zu dem US-Außenminister John Kerry und der russische Außenminister Sergej Lawrow nach Wien gebeten haben. Die Lage in Libyen bereitet vor allem den Europäern besonderes Kopfzerbrechen. Auf der anderen Seite des Mittelmeers, nicht weit von der Südgrenze Italiens entfernt, haben die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) eine neue Rückzugsbasis errichtet. Zudem dürften schon bald erneut Zigtausende Flüchtlinge von Libyen aus ihre gefährliche Überfahrt in Richtung EU starten.
Es war deshalb vor allem die italienische Regierung, die auf Verhandlungen über Libyen drängte. So wurde in Wien am Montagnachmittag darüber beraten, wie man der neuen libyschen Einheitsregierung unter die Arme greifen kann.
Der neue libysche Premierminister, Fayez al-Sarraj, kündigte in Wien an, schon bald eine Liste mit den Waffen vorzulegen, die seine Regierung benötige. Bisher galt gegen Libyen das Waffenembargo, das während des Aufstandes gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011 verhängt worden war. Ohne militärische Ausrüstung könne seine Regierung aber den IS nicht bekämpfen, gab al-Sarraj zu bedenken.
US-Außenminister Kerry unterstützte die Argumentation des libyschen Premiers: Es sei sinnvoll, der neuen Regierung in Tripolis Waffen zu liefern. Dies müsse aber „vorsichtig“ durchgeführt werden. Kerry warnte vor einer „hastigen Entscheidung“: Es müsse sichergestellt werden, dass das Kriegsgerät nicht in die falschen Hände gelange, sagte der US-Außenminister. Ziel sei, die Fähigkeiten der Libyer zur Bekämpfung des IS zu verbessern, meinte der US-Außenminister. Eine internationale Militärintervention in dem nordafrikanischen Land schloss er jedoch aus.
IS breitet sich an der Küste aus
Zuletzt hat es vor allem zwischen den USA und europäischen Ländern wie Italien und Frankreich Beratungen darüber gegeben, ob man nicht – freilich auf Ersuchen der neuen Regierung in Tripolis – Bodentruppen nach Libyen entsenden soll. Die Idee dahinter: Die westlichen Soldaten sollen einerseits gegen den IS vorgehen, der mit etwa 6000 Kämpfern einen 300 Kilometer langen Küstenstreifen rund um Gaddafis Geburtsort Sirte kontrolliert. Zugleich dachte man auch an Hilfe bei der Stabilisierung des Landes und auch an ein Vorgehen gegen Schlepper, um den Transport von Flüchtlingen über das Mittelmeer einzudämmen.
Spezialkräfte einiger westlicher Länder sind laut Experten schon in Libyen im Einsatz. Pläne zur Entsendung größerer Truppenkontingente scheinen nun aber wieder vom Tisch zu sein. Ob Libyens Regierung der Nationalen Einheit tatsächlich allein den Kampf gegen den IS aufnehmen kann, ist selbst bei einer Aufweichung des bisherigen Waffenembargos fraglich. Premier Fayez al-Sarraj sieht sich nämlich noch mit einigen weiteren massiven Problemen konfrontiert: Die bisherige Regierung in Tripolis wollte bisher nur halbherzig ihre Macht abgeben. Und die Gegenregierung im ostlibyschen Tobruk hat ohnehin bereits offen kundgetan, dass sie Sarrajs Einheitsregierung nicht anerkennen will.
Beratungen über Syrien
Heute, Dienstag, steht bei den Gesprächen in Wien ein noch komplizierterer Konflikt auf der Tagesordnung: der Krieg in Syrien. Trotz Waffenruhe verschärften sich dort zuletzt die Gefechte um die nordsyrische Stadt Aleppo. Syriens Machthaber Assad ließ zuletzt in einem Telegramm an Russlands Präsidenten Wladimir Putin keinen Zweifel daran, dass er weiter auf einen „endgültigen Sieg“ gegen die Rebellen setzt. Syriens „heldenhafte Armee“ werde „trotz der Brutalität der Feinde“ nichts weniger als diesen akzeptieren.
Als Rechtfertigung für die Flächenbombardements führt das Regime ins Treffen, dass in Aleppo auch die al-Nusra-Front operiert. Die international vereinbarte Feuerpause gilt nicht für al-Nusra und den Islamischen Staat, der nach wie vor knapp die Hälfte des syrischen Territoriums beherrscht. „Sobald es ein paar al-Nusra-Kämpfer in der Gegend gibt, werden aus Sicht des Regimes und der Russen auch alle anderen dort zur al-Nusra“, erläuterte ein europäischer Diplomat. „Dies aber sehen wir keineswegs so.“ (red., ag., mg)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2016)