Brasilien: Tonmitschnitt enthüllt Intrige

Brasiliens Interimspräsident, Temer (Mitte links), und der nun zurückgetretene Minister Jucá (M. rechts).
Brasiliens Interimspräsident, Temer (Mitte links), und der nun zurückgetretene Minister Jucá (M. rechts).(c) REUTERS (ADRIANO MACHADO)
  • Drucken

Die geheime Aufnahme eines Treffens zwischen einem Exkonzernchef und einem Minister der Interimsregierung wirft ein neues Licht auf Motive hinter Absetzung der Präsidentin.

Brasilia. Sérgio Machado ist ein Korrupter der alten Schule. Keine Informationen übers Handy, keine Festnetztelefonate, heikle Konferenzen allein in den eigenen vier Wänden. Und dort ließ der Exdirektor der Gasfirma Transpetro auch ein Aufnahmegerät mitlaufen, für den Fall der Fälle. Nun bewirkte er gar den Fall eines Fällers der Präsidentin Dilma Rousseff. Und lieferte einen mehr als einstündigen Beleg für die wahren Gründe hinter ihrer Amtsenthebung vor zwei Wochen.

Die Zeitung „Folha de São Paulo“ veröffentlichte in Auszügen den Mitschnitt eines Gespräches in Machados Büro im März. Zu Besuch war Romero Jucá, seinerzeit Senator des Urwaldstaates Roraima und führendes Mitglied der rechtsliberalen PMDB. Mit seinen Parteifreunden Michel Temer (damals Vizepräsident), Eduardo Cunha (bis zu seiner Suspendierung Anfang Mai Vorsitzender des Kongresses) und Renan Calheiros (Präsident des Senats) gehörte Jucá zu den treibenden Kräften des Impeachments. In der Senatssitzung vor Rousseffs Suspendierung am 11. Mai referierte Jucá, ein Ökonom mit viel Erfahrung im öffentlichen Finanzwesen, über den verwerflichen Umgang der Präsidentin mit dem Budget und verlangte eindringlich, die Präsidentin abzusetzen.

„Wir müssen das Blutbad stoppen!“

Nun wurde klar, was Jucá wirklich wollte: „Wir müssen dieses Blutbad stoppen!“, sagte der Senator zum Manager und bezog sich nicht auf die nach zwei Jahren Rezession anämische Wirtschaft des Landes, wie er zunächst vorgab, als erste Teile des Transkripts online gingen. Doch Folha legte nach und publizierte Tonspuren, die Jucás Absicht belegen: die Petrobras-Ermittlungen zu stoppen. Seine Partei PMDB, die vor elf Jahren den Manager Machado auf seinen Posten bei der Petrobras-Tochter Transpetro gebracht hatte, gehört zu den meistkontaminierten Fraktionen der Milliardencausa um den Ölkonzern; und Jucá, das wusste das Land spätestens nach seiner Ernennung zum Planungsminister vor zwei Wochen, zu den höchstbelasteten Figuren der „Alleskleberpartei“ PMDB, die für alle möglichen Koalitionspartner offen ist, solange sie Kassenschlüssel mitbringen.

Nun endete Jucás Kabinettskarriere am elften Amtstag, er trat zurück. Interimspräsident Temer stellte klar, dass allen Ministern mit rechtlichen Problemen das Gleiche drohe. Gegen sieben der nun 23 Minister laufen Ermittlungen wegen der Schmiergelder beim Staatsölkonzern. Ob der Rücktritt den Schaden für Temer begrenzen kann? Die Regierung will Reformen angehen und braucht breiten Sanktus in Volk und Parlament. Wohl auch daher hatte Temer seinen Parteifreund Jucá nominiert. Dieser hat im Parlament viele Kontakte, um Mehrheiten zu organisieren, vor allem jene Zweidrittelmehrheit, die bis November eine endgültige Amtsenthebung Rousseffs beschließen soll. Bis dahin wird der Senat zum Tribunal werden, laut Verfassung ergänzt durch den Präsidenten des Verfassungsgerichtes, Ricardo Lewandowski.

Vor jedem unabhängigen Gericht wären die Tonmitschnitte wohl wertvolle Beweise für ein Komplott. Doch die Senatoren sind Parteiinteressen und Wählern verpflichtet. Und diese stehen noch mit Mehrheit hinter der Absetzung Rousseffs. Jenseits der Grenzen dürfte das anders gesehen werden. Noch hat kein Staat Temer formell als Regierungschef anerkannt. Allein Argentiniens konservative Regierung akzeptierte, unter Verweis auf den Konsens der brasilianischen Höchstrichter, das Impeachment. Der neue Außenminister, José Serra, war gerade zu Gast bei Mauricio Macri, um über die Gesundung der beiden verflochtenen Wirtschaften zu sprechen und Pläne für die Region zu schmieden. Doch die Bombe aus Brasilia platzte, und Serra musste sofort zum Flughafen. Er landete in einem Land voller Verunsicherung. Der Aktienindex Bovespa liess um 0,8 Prozent nach, die Währung Real um 1,8 Prozent. Mehrere Zeitungen berichten, Machado wolle als Kronzeuge aussagen und verfüge noch über weitere Aufnahmen – etwa mit Senatspräsident Calheiros und Exstaatschef José Sarney, beides PMDB-Parteifreunde.

Noch größere Skandale vor Aufdeckung

Klar ist: Jucás Plan ist gescheitert. Die Aufarbeitung der Korruptionsaffären des vergangenen Jahrzehnts ist nicht mehr zu stoppen, zu groß ist das Verlangen der Brasilianer nach Bestrafung der korrupten Politiker und Bosse. Inzwischen sind weitere Ermittlungen angelaufen, die den Milliardendiebstahl bei Petrobras noch in den Schatten stellen könnten. Eine davon, genannt Operation Eiferer, soll einen Milliarden-Steuerbetrug aufklären, dessen Schaden ein Vielfaches des Petrobras-Schemas ausmache. Auch in diesem Verfahren wird gegen Jucá ermittelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Nur wenige Wochen im Amt und schon Proteste.
Außenpolitik

Neuer brasilianischer Präsident, neue Korruptionsaffäre

Ein Minister soll versucht haben, die Petrobras-Ermittlungen zu stoppen. Dafür soll er die Amtsenthebung von Ex-Präsidentin Rousseff forciert haben.
Auch Lula selbst ist in den Fokus der Ermittlungen geraten.
Außenpolitik

Brasilien: 23 Jahre Haft für Ex-Kabinettschef

José Dirceu ist wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt worden. Er war einst Kabinettschef des früheren Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva.
Brasiliens Übergangspräsident Michel Temer.
Außenpolitik

Brasilien: Mit Privatisierung aus der Krise

Brasiliens Übergangspräsident Michel Temer will die Staatskasse füllen. Sein oberstes Ziel sei es, in Politik und Wirtschaft Ruhe zu bringen.
BRAZIL-TEMER-MINISTERS
Außenpolitik

Brasilien Übergangspräsident soll US-Informant gewesen sein

Michel Temer hat laut der Enthüllungsplattform Wikileaks die US-Botschaft über das Innenleben der brasilianischen Politik informiert.
Interimspräsident Michel Temer.
Außenpolitik

Brasilien: Megaprobleme für Männerkabinett

Nach der Absetzung von Dilma Rousseff hat Interimspräsident Temer seine Regierung vorgestellt. Gewerkschafter sehen in der Riege ausschließlich weißer Männer eine Provokation.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.