Die größten Industrieländer ringen um ein Rezept zur Belebung der schwächelnden Weltwirtschaft. Die USA, Frankreich und Japan setzen auf Konjunkturpakete, Berlin und London sind dagegen.
Ise-Shima. In Japan findet sich kaum ein Fluss, der nicht begradigt ist, kaum eine Stadt, die nicht an ein Hochgeschwindigkeitsstreckennetz angeschlossen ist, und kaum ein Dorf, durch das nicht eine moderne Schnellstraße führt. Erst Ende April präsentierte die staatliche Bahngesellschaft JR Tokai auf ihrer Teststrecke einen neuen Typ ihrer Magnetschwebebahn Maglev. Mit 590 Stundenkilometern soll sie ab 2040 die Metropolregion Tokio mit jener von Osaka verbinden. Bisher veranschlagte Kosten für dieses Mammutprojekt: 82 Mrd. US-Dollar.
All diese staatlich inszenierten Großprojekte dienen vor allem einem Ziel: der Ankurbelung der seit mittlerweile zwei Jahrzehnten stagnierenden japanischen Volkswirtschaft. Als Gastgeber des Gipfels der sieben großen Industriestaaten USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada (G7) wollte der japanische Premierminister, Shinzō Abe, beim zweitägigen Treffen am Donnerstag und Freitag auch bei den anderen Industrieländern für diesen nach ihm benannten Wirtschaftskurs („Abenomics“) werben.
Dabei hat sich die japanische Regierung bereits eine Abfuhr eingeholt. Beim Vorbereitungstreffen der G7-Finanzminister am vergangenen Wochenende in Sendai stellte sich vor allem Deutschlands Finanzminister, Wolfgang Schäuble, gegen einen globalen Finanzstimulus quer. Für ihn ist der japanische Wirtschaftskurs ein Horrorszenario. Zwar ist Japans Arbeitslosigkeit all die Jahre niedrig geblieben, soziale Verwerfungen gab es keine. Doch die Staatsverschuldung stieg. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt sie inzwischen bei über 250 Prozent. Japan ist das am höchsten verschuldete Land der Welt. „Die G7-Gruppe wird kein gemeinsames Konjunkturprogramm ausrufen“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Finanzminister. Statt auf Konjunkturpaketen auf Pump würde die Siebenergruppe auf einen „Dreiklang aus Fiskal- und Geldpolitik sowie auf Strukturreformen setzen“ – ein windelweicher Kompromiss und typisch, wenn keine Einigung gefunden wird. Letztendlich soll jeder Staat für sich entscheiden, was er für richtig hält. Japan weiß die USA, Kanada, Italien und Frankreich auf seiner Seite. Deutschland hingegen erhält Unterstützung von Großbritannien.
Nach außen hin schien der Streit beigelegt. Doch bei dem Gipfel der Regierungschefs schwelen die Konflikte weiter. Gleich zu Beginn des Gipfels brachte Gastgeber Abe das Thema wieder auf den Tisch und forderte, dass die G7 sich bereit zeigen müssten, „zu einem nachhaltigen und kraftvollen Wachstum der Weltwirtschaft beizutragen“. Schwammige Kompromisse wolle er nicht akzeptieren. Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, versuchte, auf die Forderungen des Gastgebers einzugehen, ohne von der deutschen Position abzurücken.
Auch Geldpolitik spaltet
Die G7 hätten Japan zugestimmt, „eine gemeinsame ökonomische Initiative zu verabschieden“. Doch seien die Möglichkeiten begrenzt, sagte Merkel. „Ich glaube, dass wir ein gutes Kommuniqué zustandebekommen, das auch akzeptiert, dass es eine Balance von allen Maßnahmen geben muss, zu denen auch Konjunkturmaßnahmen gehören.“
Auch in der Geldpolitik ziehen die G7-Staaten nicht an einem Strang. Befeuert wird Abenomics von einer extrem lockeren Geldpolitik. Die japanische Zentralbank hatte ab 2013 in ungekanntem Ausmaß die Notenpresse angeworfen, um den Yen im Vergleich zum US-Dollar zu verbilligen. Dahinter stand das Ziel, Japans Exportgüter auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger zu machen. Die Europäische Zentralbank folgte diesem Schritt. Der Euro hat in den vergangenen zwei Jahren zum Dollar zwischen 20 und 30 Prozent an Wert verloren. Seit Jahresbeginn schlagen wiederum die USA zurück und haben ihrerseits den Dollar abgewertet. Ein Abwertungswettlauf ist längst im Gang.
Nun schieben sich die Länder gegenseitig die Schuld zu. Japans Finanzminister, Tarō Asō, drohte mit Interventionen, sollte der Yen zum Dollar noch stärker zulegen. Sein US-Kollege, Jack Lew, wiegelte ab: Die derzeitigen Schwankungen auf den Devisenmärkten spielten sich in geordneten Bahnen ab.
AUF EINEN BLICK
An dem zweitägigen Treffen der sieben größten Industrienationen (G7) in Japan nehmen die Staats- und Regierungschefs der USA, Kanadas, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Japans sowie EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Juncker teil. Eingeladen wurden auch Vertreter aus anderen asiatischen Staaten, etwa Vietnam. Hauptthema ist die schwächelnde Weltkonjunktur. Auch geopolitische Themen, etwa die Spannungen im südchinesischen Meer, wurden besprochen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2016)