Ungarn/Bulgarien: Hetzjagd der „besorgten Bürger“

Die Ungarische“ Garde ist verboten. Doch ihre Mitglieder marschieren weiter (Symbolbild).
Die Ungarische“ Garde ist verboten. Doch ihre Mitglieder marschieren weiter (Symbolbild).(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In Ungarn und in Bulgarien patrouillieren Bürgerwehren, um die Bevölkerung vor Migranten „zu schützen“. Von prügelnden „Migrantenjägern“ und „gesunden Spaziergängen“.

Budapest/Sofia. Vor dem örtlichen McDonalds in Györ, Westungarn, verhandelt ein stämmiger Iraker mit einer Gruppe Migranten. „Das ist ein Schlepper“, sagt Miklós (Name geändert). Zusammen mit einigen durchtrainierten Freunden nähert er sich dem Lokal. Die Migranten verschwinden schlagartig. „Sie kennen uns“, sagt Miklós. Als 2009 die Ungarische Garde gegründet wurde, die heute verbotene Miliz der rechten Jobbik-Partei, war er als einer der Ersten mit dabei.

Heute ziehen er und seine etwa 40 Gleichgesinnten in wechselnder Besetzung zuweilen abends durch die Stadt, nach der Arbeit, und halten Ausschau nach Migranten. Immer sind welche da, aus dem nahen Flüchtlingslager in Vámosszabadi. „Wir sprechen sie an, fragen, was sie hier machen“, sagt Miklós. „Wir versuchen, ihnen zu erklären, dass hier andere Regeln gelten als in ihren Heimatländern. Etwa, wie man mit Frauen umgeht.“ Dann „eskortieren wir sie zur Haltestelle, wo der Bus zum Flüchtlingslager anhält.“

Lokaler Polizeichef schaut weg

Auch zwei Frauen gehören zur Gruppe. Eine von ihnen ist Melissa Mészaros. Sie erzählt, wie sie bei der Arbeit von einem Palästinenser begrapscht wurde. „Er war betrunken.“ „Gesunde Spaziergänge“ nennen die Teilnehmer ihre Rundgänge. Einer dient bei der Armee. Ein anderer ist ranghoher Funktionär der örtlichen Jobbik-Partei. Er ist der eigentliche Organisator der „Spaziergänge“ und will nicht genannt werden. Auch seine Funktion darf nicht erwähnt werden, denn „das hat mit der Partei nichts zu tun, ich mache das nicht als Politiker“, sondern, so sagt er, als „Gardist“. Die meisten der Teilnehmer sind frühere Gardisten, und sie betrachten sich selbst als immer noch im Dienst, auch wenn die Garde aufgelöst wurde. Solche „Spaziergänge“ gebe es auch in anderen Städten. „Die Garde lebt noch.“ „Klar, der örtliche Polizeichef kennt uns, sieht aber weg“, meint Miklós. Geprügelt habe man sich mit den Migranten noch nie. „Spannungen, ja, die gibt es öfter, wenn wir mit ihnen sprechen.“
Jobbik-Parteichef Gábor Vona sagt zur „Presse“: „Wir wissen von nichts dergleichen.“ Sollte es Aktivitäten dieser Art von Jobbik-Politikern geben, könne er das nur unterstützen, wenn es sich um „gesetzestreues“ Vorgehen handele, in Absprache mit den Sicherheitsbehörden, um Zivilisten zu helfen.
Ortswechsel. Hristo Atanasov ist Koch in der bulgarischen Hafenstadt Burgas. Am Wochenende zieht er Militärklamotten an und fährt mit gleich gesinnten Freunden – die Gruppe zählt rund 30 Mitglieder – in den Wald, an die Grenze. „Wir spazieren da nur“, sagt er. Aber sie geben ihre Route der Polizei durch und halten Ausschau nach Migranten. Sie sind ein „patriotischer Bürgerverein“, die „Organisation zum Schutz bulgarischer Bürger“. Gründer: Atanasov. Mehr als 50 Migranten haben sie bereits der Polizei übergeben. Der 33-Jährige beeilt sich zu sagen, dass alles legal zugehe – „nicht wie bei Dinko oder Perata. Die verprügeln die Migranten, rauben sie aus und jagen sie zurück.“

Kopfgeld für Flüchtlinge

Dinko und Perata sind berüchtigte „Migrantenjäger“, die seit Februar die Nachrichten in Bulgarien beherrschen. Es begann mit Dinko Valev – ein bulliger Typ, der gern auf seinem Quad im Wald herumfährt. Eines Tages im Februar, so seine Darstellung, wurde er dabei von einem Migranten angegriffen, der sein Fahrzeug habe stehlen wollen. Valev streckte ihn mit ein paar Hieben nieder und verfuhr dann ähnlich mit anderen Migranten, die plötzlich aus den Büschen kamen. Dann rief er die Polizei.
Er wurde in den bulgarischen Medien über Nacht zum Superstar, tönte auf allen TV-Kanälen, Migranten seien Terroristen und würden Europa und Bulgarien zerstören, wenn Leute wie er, Dinko Valev, nichts dagegen unternähmen. Seither hat er mindestens 25 Migranten „gefasst“, eine Welle von Nachahmern ausgelöst und fordert, die Regierung möge 25 Euro Kopfgeld pro gefangenem Flüchtling geben.
Überhaupt hat er es mit dem Geld. 500 Euro fordert er für ein Treffen. Da das journalistisch unethisch wäre, kommt es nicht infrage. Andere Journalisten berichten von ähnlichen Forderungen des Mannes.
Meistens aber passiert auf den Bürgerpatrouillen in Ungarn und Bulgarien – gar nichts. Man erzählt sich gegenseitig, wie wichtig es ist, das Abendland zu verteidigen. „Die Migranten sind eine Invasion“, da sind sich die Gardisten in Györ einig. Die Polizei schütze die Bürger nicht, „die Menschen fürchten sich nach Einbruch der Dunkelheit“. Irgendwann, so hoffen sie, wird es die Garde auch offiziell wieder geben. Bis dahin zieht man eben ohne Uniform durch die Stadt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)

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