Autobombe in Istanbul: Die Türkei wird zur Terrorzone

Präsident Erdogan besucht Verletzte in einem Krankenhaus nahe des Anschlagsortes in Istanbul.
Präsident Erdogan besucht Verletzte in einem Krankenhaus nahe des Anschlagsortes in Istanbul.REUTERS
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Bei einem Sprengstoffanschlag in Istanbul sterben mindestens elf Menschen. Präsident Erdoğan macht kurdische Untergrundkämpfer für das Attentat verantwortlich.

Die Täter hatten genau auf den richtigen Moment gewartet: Als ein Bus der türkischen Bereitschaftspolizei am Dienstagmorgen im Istanbuler Bezirk Vezneciler, nur wenige hundert Meter vom berühmten Großen Bazar entfernt, während einer Wachablösung eine Reihe geparkter Autos passierte, sprengten sie eines der Fahrzeuge in die Luft. Die Explosion warf den Bus auf den Mittelstreifen der mehrspurigen Durchgangsstraße. Mindestens sieben Polizisten und vier Passanten starben, 36 weitere Menschen wurden verletzt. Präsident Recep Tayyip Erdoğan macht kurdische Extremisten für die Bluttat verantwortlich.

Die Wucht der Explosion im morgendlichen Berufsverkehr ließ in umliegenden Gebäuden und auch in einer nahen Moschee im Stadtteil Beyazit die Scheiben bersten. Für den türkischen Fremdenverkehr ist das Attentat ein weiterer schwerer Schlag: Schon bisher kamen viel weniger Besucher nach Istanbul und an die Strände an der Südküste.

Ein Polizeibus wurde durch den Sprengstoff auf den Mittelstreifen geschleudert.
Ein Polizeibus wurde durch den Sprengstoff auf den Mittelstreifen geschleudert.(c) REUTERS

Attentatsserie im heurigen Jahr

Im Jänner und im März sprengten sich Selbstmordattentäter des sogenannten Islamischen Staats (IS) in der Innenstadt in die Luft und töteten zwölf deutsche Touristen sowie vier iranische und israelische Besucher. Im Februar und im März sprengten sich Mitglieder der Splittergruppe Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) bei zwei Anschlägen in Ankara in die Luft und töteten mehr als 60 Menschen.

Erdoğan sprach nach einem Besuch bei Verletzten des Attentats in einem Istanbuler Krankenhaus von der Täterschaft der „Terrororganisation“, ein Begriff, der im türkischen Sprachgebrauch für die kurdische Untergrundorganisation PKK verwendet wird. Der Kampf gegen den Terror werde weitergehen, sagte Erdoğan. Warum er die PKK hinter dem Bombenanschlag sieht, hat der Präsident nicht erklärt. Allerdings sprachen das Ziel der Gewalttat – Mitglieder der Sicherheitskräfte – und die Methode der Autobombe für kurdische Täter.

Die Gewalttat kommt zu einer Zeit, da die Spannungen im Kurdenkonflikt erneut eskalieren. Die PKK greift fast täglich die Sicherheitskräfte an, die türkische Luftwaffe bombardiert PKK-Stellungen in Südostanatolien und im Nordirak. Heftige Gefechte hatten in den vergangenen Monaten ganze Städte im Kurdengebiet in Schutt und Asche gelegt.

Mehr als tausend Menschen sind bei der Gewalt seit dem vergangenen Sommer ums Leben gekommen – an eine Wiederaufnahme der damals abgebrochenen Friedensgespräche zwischen dem türkischen Staat und dem inhaftierten PKK-Chef, Abdullah Öcalan, ist im derzeitigen politischen Klima nicht zu denken. Eher ist mit einer weiteren Verschärfung der Lage zu rechnen. Wie Erdoğan betonte auch Premier Binali Yildirim, es werde keine Kompromisse im Kampf gegen den Terror geben.

Angriff gegen Deutschtürken

Einige Beobachter sprachen von einer durch die blutigen Auseinandersetzungen vergifteten Atmosphäre im ganzen Land: „Schande über alle, die das Klima der Gewalt geschaffen haben, die aus der Gewalt Kapital schlagen und die den Frieden ablehnen“, schrieb der Journalist Fehim Taştekin auf Twitter. In dem Kurznachrichtendienst riefen einige Nutzer zu blutiger Vergeltung gegen Kurden auf.

Auf der politischen Ebene wirft Erdoğan türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten in Deutschland vor, PKK-Helfer zu sein – und lässt mit einer Massenversetzung von fast 4000 Richtern und Staatsanwälten die erwarteten Terror-Prozesse gegen kurdische Abgeordnete vorbereiten. Der kurdische Parlamentsabgeordnete Sirri Süreyya Önder sagte, Erdoğan wolle mit den Umbesetzungen sicherstellen, dass die Mitglieder der prokurdischen HDP vor Gericht gestellt und verurteilt würden. Nach der Parlamentsentscheidung zur Aufhebung der Immunität aller Abgeordneten im vergangenen Monat – eine Grundlage für Prozesse gegen HDP-Politiker – lag die Entscheidung am Dienstag Präsident Erdoğan zur Unterschrift vor.

Kritik an EU-Staaten

In den Reihen der türkischen Führung wurde nach dem Anschlag erneut Kritik an der EU-Forderung laut, die türkischen Terrorgesetze zu modifizieren. Brüssel verlangt die Änderungen im Rahmen der Gespräche über den Wegfall der Visumpflicht für Türken bei Reisen nach Europa. Seitens der EU-Staaten wirft man der türkischen Regierung vor, die Terrorgesetze zu benutzen, um gegen jegliche Kritiker vorzugehen.

(Ag.)

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