Russland: Kontroverse um Kadyrow-Brücke

Tschetschenische Präsident, Ramsan Kadyrow.
Tschetschenische Präsident, Ramsan Kadyrow.(c) REUTERS (SPUTNIK)
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In St. Petersburg regt sich Protest gegen die Benennung einer Brücke nach Ramsan Kadyrows verstorbenem Vater. Der Tschetschene hatte keinen Bezug zur Stadt.

Moskau/St. Petersburg. Warum nicht Brodsky-Brücke? Achmatowa-Brücke? Dowlatow-Brücke? Einige der geschätzten 400 Demonstranten, die sich am Montag auf dem Sankt Petersburger Marsfeld versammelten, hielten Plakate mit kreativen Vorschläge hoch. Dass die Stadtbehörden sie erhören, ist wenig wahrscheinlich.
In Russlands nördlicher Metropole sorgt die geplante Benennung einer Brücke zu Ehren des Vaters des tschetschenischen Präsidenten, Ramsan Kadyrow, für Proteste auf der Straße und in sozialen Medien. Mehr als 78.000 Menschen haben bisher eine Online-Petition gegen die Umbenennung unterzeichnet.

Die Affäre nahm ihren Ausgang hinter verschlossenen Türen: Die Mehrheit der städtischen Ortsnamen-Kommission empfahl Ende Mai dem Gouverneur Georgij Poltawtschenko die Benennung einer neu errichteten und bisher namenlosen Brücke über den Dudergof-Kanal zu Ehren des früheren tschetschenischen Machthabers. Achmat Kadyrow, Vater des derzeitigen tschetschenischen Präsidenten, Ramsan, wurde im Mai 2004 bei einem Bombenanschlag in Grosny getötet. Während er als Mufti der russischen Teilrepublik im ersten Tschetschenienkrieg auf Seiten der Separatisten stand, unterstützte er im zweiten Krieg in den Nullerjahren Moskau. Danach wurde er vom Kreml gestützter Präsident.

Von außen „aufgedrängt“

Unter jenen Tschetschenen, die die Unabhängigkeit der Teilrepublik befürwortet haben, gilt er bis heute als Verräter. Zudem ist Achmat Kadyrows Name mit dem seines Sohns verknüpft, der in der Teilrepublik ein autoritäres Regime aufgezogen hat, das sich zunehmend dem politischen Zentrum entzieht.

St. Petersburger Kritiker führen zudem an, dass Kadyrow senior zu der Stadt keinerlei Verbindungen habe, die Namensgebung sei „aufgedrängt“, sagt eine Gesprächspartnerin der „Presse“. Wer den Namen Kadyrow ins Spiel gebracht hat, ist ein Rätsel. Manche vermuten eine Anweisung aus Moskau.

Die Benennung öffentlicher Orte ist im heutigen Russland auch ein Zeichen politischer Loyalitätsbekundung: Im tschetschenischen Grosny ist etwa ein zentraler Prospekt nach Wladimir Putin benannt. In Moskau gibt es seit Jahren eine Achmat-Kadyrow-Straße.

Doch die Kontroverse im liberal geprägten Sankt Petersburg zeugt auch von der allgemeinen Unzufriedenheit mit den Behörden. Während diese nach außen hin die Rhetorik der Mitbestimmung vertreten, ist dies in der Praxis eben nicht der Fall. Zudem wurde bekannt, dass auf mehrere Mitglieder der Toponym-Kommission Druck ausgeübt worden sei.

Auch die Opposition hat sich mittlerweile des Themas angenommen. Der Protest kommt den Behörden ungelegen, schließlich finden im September Duma-Wahlen statt. Die Namenswahl könnte deshalb auf die Zeit nach der Wahl verschoben werden, vermutet die Gesprächspartnerin der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2016)

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