Der Attentäter – ein verhinderter Polizist

Undated photo from a social media account of Omar Mateen
Undated photo from a social media account of Omar Mateen(c) REUTERS (HANDOUT)
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Omar Mateen ging brav in die Moschee, rühmte sich seiner Nähe zu Jihadisten, schlug seine Frau. Er geriet ins Visier des FBI – und radikalisierte sich im Stillen.

Der Notruf unter der Nummer 911 ging Sonntagfrüh um 2.22 Uhr ein, während das Massaker im Pulse-Club an der South Orange Avenue in Orlando bereits rund 20 Minuten im Gange war. Der Anrufer stellte sich mit seinem Namen vor, der wenige Stunden später um den Globus gehen und in die Annalen der jüngeren Terrorgeschichte eingehen sollte.

Der 29-jährige Omar Mateen, just ein Mitarbeiter der Sicherheitsfirma G4S mit afghanischen Wurzeln, hat den schlimmsten Terrorakt auf US-Territorium seit den 9/11-Anschlägen verübt. In einem Treueschwur bekannte er sich zum sogenannten Islamischen Staat und seinem Führer, Abu Bakr al-Baghdadi, obwohl er zuvor – zumindest öffentlich – keine Affinität zu der jihadistischen Terrormiliz hatte erkennen lassen. Im gleichen Atemzug nannte er auch die Tsarnaev-Brüder, die aus Tschetschenien stammenden Attentäter vom Boston-Marathon 2013.

Ein Einzelgänger

Dies sollte Omar Mateens dürres Vermächtnis für die Nachwelt sein. Seit seinem letalen Ende um fünf Uhr Früh, als in Florida allmählich die Dämmerung anbrach und das ganze Ausmaß des Grauens in und um den Nachtklub sichtbar wurde, versuchen Sonderermittler des FBI und Antiterrorspezialisten, das Puzzle der Motive des Täters zusammenzusetzen. Die These, dass es sich um einen „lone wolf“, um einen Einzelgänger handelte, der sich radikalisierte und auf eigene Faust agierte, erhärtete sich schnell.

In den vergangenen Jahren war er zwei Mal auf dem Radar des FBI aufgetaucht. Als sich Mateen vor Arbeitskollegen brüstete, mit Terrorgruppen und einem US-Jihadisten – dem Selbstmordattentäter Moner Mohammad Abdusalha, der sich in Syrien für die al-Nusra-Front in die Luft gesprengt hatte – in Verbindung zu stehen, wurde die US-Bundespolizei hellhörig. Sie bestellte ihn zu einem Verhör ein. Die Verdachtsmomente brachen jedoch in sich zusammen.

Kollegen berichteten gegenüber US-Medien indes über seine Tiraden gegen Homosexuelle, Schwarze, Juden – kurzum gegen Minoritäten wie Anhänger des Islam, dem Mateen angehörte. Als ein schwules Pärchen in Miami in der Öffentlichkeit – vor den Augen seines dreijährigen Sohns – Zärtlichkeiten austauschte und sich küsste, soll Mateen seinen Ekel zum Ausdruck gebracht haben, wie sein Vater Seddiq schildert.

Der politische Aktivist, ein Anhänger der Mudschaheddin, war während der sowjetischen Okkupation Afghanistans in die USA emigriert, wo Omar Mateen im November 1986 in New York zur Welt kam. Später übersiedelten die Familie nach Florida, und Seddiq Mateen betrieb vom „Sunshine State“ aus seine Propaganda-Show „Durand Jirga“, in der er vor allem gegen Pakistan wetterte. Bei einem Trip nach Kabul gelang ihm 2014 sogar ein Interview mit Ashraf Ghani, dem afghanischen Präsidenten – nur um hernach pauschal die Verhaftung der politischen Klasse zu fordern, inklusive Ghanis und des Ex-Präsidenten Hamid Karsai. Zuletzt machte er kein Hehl aus seiner Bewunderung für die Taliban. Sein Sohn Omar, stellte er klar, habe sich nie sonderlich für die alte Heimat interessiert. „Seine Tat hat nichts mit Religion zu tun. Wir sind genauso geschockt wie das ganze Land.“

Ein Polizeifan

Omar Mateen wuchs an der Atlantikküste in Florida auf, und am auffälligsten an ihm war zunächst nur sein Faible für die Polizei. Er posierte in T-Shirts der NYPD, der New Yorker Polizei, und malte sich eine Zukunft als Polizeioffizier aus. Drei bis vier Mal in der Woche besuchte er die Moschee in Fort Pierce. „Er kam immer als Letzter und ging als Erster, damit er mit niemandem reden musste“, erzählte der Imam, Syed Shafeeq Rahman, der „New York Times“. Dessen Sohn, ein Student, beschreibt Omar aber als aggressiv.

Als 20-Jähriger bewarb sich Omar bei einer Sicherheitsfirma, er führte ein zurückgezogenes Leben und lernte seine spätere Frau 2008 auf dem Internet-Portal My Space kennen. Die Ehe mit Sitora Yusifyi, die aus Usbekistan stammt, währte nur wenige Monate. „Er kam heim, und nur weil die Wäsche nicht fertig war, fing er an, mich zu schlagen. Ich durfte nirgends mehr hingehen – außer zur Arbeit.“ Zu Beginn, schildert sie in der „Washington Post“, „schien er noch normal.“ Seine einzige Obsession habe darin bestanden, ins Fitnessstudio zu gehen. Doch dann habe er ihr Gehalt einkassiert und jeden Kontakt zu ihren Eltern in New Jersey untersagt. Schließlich hätten diese sie aus der Ehehölle befreit.

Nach der Trennung 2009 wandte sich Omar Mateen verstärkt dem Islam zu, nach Angaben eines Freundes habe er sogar eine Pilgerreise nach Saudiarabien unternommen, ehe er eine zweite Ehe schloss.

Im Laufe seiner Tätigkeit als Sicherheitsmann, bei der er Zugang zu jeglichen Schusswaffen hatte, musste er sich mehrmals einem Persönlichkeitstest unterziehen, den er indessen problemlos bestand – sehr zur Verwunderung seines Arbeitskollegen Daniel Gilroy: „Er hat ständig darüber gesprochen, Menschen zu töten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)

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