„Wir waren wie Kühe in einem Schlachthaus“

Investigators work the scene following a mass shooting at the Pulse gay nightclub in Orlando Florida
Investigators work the scene following a mass shooting at the Pulse gay nightclub in Orlando Florida(c) REUTERS (CARLO ALLEGRI)
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Die Terrornacht. Für die mehr als 300 Partygäste des Pulse verwandelte sich ein ausgelassener Tanzabend in einen Albtraum. Wie Omar Mateen als einziger Schütze 49 Menschen erschießen konnte.

Wien/Orlando. Ein Mix aus Reggae, Bachata und Salsa tönte aus den Lautsprechern des Pulse-Nachtklubs. Es war Latino Night, ein Event-Highlight des bei Homosexuellen, Transgendern und Bisexuellen beliebten Lokals. Als Omar Mateen das Pulse Sonntag um 2.02 Uhr mit einem Sturmgewehr, einer Handwaffe und vielen Ladungen Munition betrat, tanzten etwa 320 Menschen dicht an dicht in die frühen Morgenstunden. Das Knallen der ersten tödlichen Salven schien nichts weiter als Teil der ausgelassenen Feier zu sein. „Ich dachte, es sind Feuerwerkskörper“, erzählte später der DJ Ray Rivera. Andere glaubten, es handle sich um zerplatzende Luftballons oder um den laut dröhnenden Bass. Doch die Schüsse hörten nicht auf. Nun mischten sich die Schreie entsetzter Partygäste unter die Musik. Einer nach dem anderen fielen Menschen zu Boden – einige aus Panik, einige, weil sie verletzt waren, andere, weil der 29-Jährige sie erschossen hatte. 49 Menschen starben.

„Alle raus aus Pulse!“ schrieb der Klub um 2.07 auf seiner Facebook-Seite, für viele Besucher der Beginn eines dreistündigen Gemetzels: Einer von drei Menschen in dem verwinkelten Gebäude wurde entweder verletzt oder getötet. „Die Leute drückten und schubsten einander, um nach draußen zu gelangen“, erzählte ein Überlebender. „Wir waren wie Kühe in einem Schlachthaus.“ Anderen blieb nichts anderes übrig, als über die blutüberströmten Leichen außer Gefahr zu kriechen. Ein 34-Jähriger wurde tödlich in den Rücken getroffen, als er seinen Lebensgefährten durch eine Tür ins Freie drückte.

190 Kilometer war Mateen am Samstag mit einem Mietwagen von Port St. Lucie im Süden Floridas nach Orlando gefahren. Gleich zu Beginn seines Attentats stieß der Angestellte der Sicherheitsfirma G4S auf Widerstand: Ein Polizeibeamter außer Dienst, der an diesem Abend als Security arbeitete, und zwei weitere Polizisten verwickelten ihn in ein Schussgefecht. Mateen flüchtete ins Gebäude. Um 2.22 Uhr wählte er den Notruf und schwor der Terrormiliz Islamischer Staat die Treue. Etwa eine halbe Stunde später zog er sich mit bis zu acht Geiseln in eine Toilette im Klub zurück.

„Kalt und ruhig am Telefon“

Partygäste, denen die Flucht nicht gelang, verkrochen sich in WC-Räumen und dunklen Winkeln des Gebäudes. In hysterischen Textnachrichten baten sie Bekannte und Verwandte um Hilfe. Eddie Jamoldroy Justice war einer der Geiseln Mateens. „Mama, ich liebe dich“, schrieb er seiner Mutter um kurz nach zwei Uhr auf WhatsApp. Er sitze auf der Toilette fest. Sie solle die Polizei rufen. „Er kommt. Ich werde sterben“, lautete eine Nachricht eine halbe Stunde später. Um 2.51 Uhr erhielt Milna Justice das letzte Lebenszeichen ihres Sohns. Weitere 15 Menschen versteckten sich zu der Zeit im WC nebenan.

Drei Stunden lang verhandelte die Polizei mit dem Geiselnehmer. Mateen habe am Telefon „kalt und ruhig“ gewirkt, sagte Polizeichef John Milna am Montag. Es dauerte, bis genug Unterstützung für eine Stürmung vor Ort war. Um 5.00 schließlich entschieden sich die Einsatzkräfte einzugreifen, um weitere Tote zu verhindern. Der Versuch, ein Loch in die Außenwand einer Toilette zu sprengen, in der sich Menschen versteckten, scheiterte. Daraufhin rammten Spezialeinheiten die Mauer mit einem Panzerfahrzeug. Durch die Öffnung gelang den Gästen die Flucht. Wenig später trat Mateen umherfeuernd ins Freie. Er wurde sofort erschossen.

„Wir haben Hunderte Leben gerettet“, sagte Buddy Dyer, Orlandos Bürgermeister, am Montag. Er lobte die Arbeit der Einsatz- und Rettungskräfte. Doch wie war es möglich, dass ein einziger Schütze 49 Menschen erschoss und damit das drittgrößte Massaker weltweit anrichtete? Viele Gäste im Pulse reagierten aufgrund der lauten Musik spät. Der Klub war gedrängt voll. Das erschwerte eine schnelle Flucht. Zudem hatte Mateen drei Stunden Zeit, bis die Polizei eingriff – ungewöhnlich lang, sagte Adam Lankford, Experte für Massenschießereien, der „New York Times“. Die Geschwindigkeit der Polizeireaktion könne Opferzahlen stark beeinflussen. Ein dritter Faktor: Mateen verwendete ein halb automatisches Gewehr des Typs AR-15. Ursprünglich für das Militär entwickelt, ist ein Magazinwechsel damit in Zehntelsekunden machbar. Auch die Attentäter von San Bernardino in Kalifornien verwendeten im Dezember dieses Modell.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)

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