Der katalanische Traum vom besseren Staat

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SPAIN-TOURISM-BARCELONA(c) APA/AFP/PAU BARRENA
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Knapp die Hälfte der Einwohner der nordostspanischen Region wünscht die Trennung von Madrid, dahinter steckt Frust über „spanische Arroganz“, Korruption und Wirtschaftsmisere. Die Regionalregierung schlägt daraus Kapital.

Alex blickt auf seine Kinder, die auf dem Spielplatz unter riesigen Platanen im Zentrum von Barcelona wild schaukeln. „Sie sollen nicht in Spanien groß werden“, sagt der Computertechniker. Er wünscht sich für die Zukunft seiner Kleinen „ein unabhängiges Katalonien, ein kleines Land, in dem wir frei über unsere eigenen Angelegenheiten entscheiden können. Dann wäre vieles übersichtlicher und würde besser funktionieren.“ Alex ist kein radikaler Unabhängigkeitskämpfer. Mit Politik hat er eigentlich wenig am Hut – dafür haben er und seine ebenfalls berufstätige Frau nicht viel Zeit: Mit zwei Gehältern kommt die vierköpfige Familie in Barcelona nur knapp über die Runden. Dazu kommt die ständige Angst, wegen der Krise den Job zu verlieren.

Schicker Separatismus

Dass in der wirtschaftsstärksten Region des Landes trotz Aufschwungs nach jahrelanger Rezession immer noch rund 17 Prozent ohne Arbeit sind, schieben viele Katalanen der Zentralregierung in die Schuhe: Hohe Transferleistungen in die Hauptstadt, korrupte Madrider Politik und fehlende Investitionen in Infrastruktur sind für viele die Hauptgründe der Misere.

Vor wenigen Jahren noch waren in Katalonien die Unabhängigkeitsbefürworter eine belächelte, radikale Minderheit. Inzwischen gehört Separatismus zum schicken politkulturellen Mainstream: 45,5 Prozent der Katalanen wollen die Trennung von Madrid. Am 11. September, dem katalanischen Nationalfeiertag, wird jedes Jahr eine separatistische Mega-Party gefeiert: 1,5 Millionen Katalanen demonstrieren beim bunten Volksfest mit der Unabhängigkeitsfahne für „Catalunya Illuvre“, ein freies Katalonien. Gefördert wird das Gefühl der Eigenständigkeit von oben: In öffentlichen Kindergärten und Schulen ist Katalanisch Hauptunterrichtssprache, Restaurants und Bars müssen Strafen zahlen, wenn sie nicht Speisekarten auf Katalanisch führen.

Die heterogene und wackelige „große Koalition“ separatistischer Parteien, die in Barcelona regiert, will jetzt endgültig den Weg zum freien Staat ebnen: Die Regionalregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende 2017 einen katalanischen Staat auszurufen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren: Derzeit wird an Institutionen, Behörden und sogar an einer Verfassung gebastelt. Vor dem großen Schritt will die Regionalregierung aber darüber abstimmen lassen, ob Katalonien tatsächlich seinen eigenen Weg gehen soll. Ein Referendum wünschen sich immerhin 80 Prozent aller Katalanen. Doch Madrid lehnt eine Befragung strikt ab, man sieht darin einen klaren Verstoß gegen die Verfassung. An der Katalonien-Frage scheiterte die Bildung einer linken Regierung in Madrid: Die linksradikale Podemos, drittstärkste Partei bei Wahlen im Dezember und zweitstärkste in derzeitigen Umfragen, pocht als einzige nationale Partei auf eine Abstimmung.

Was die sonst eher pragmatischen Katalanen zu Separatisten machte, darüber scheiden sich die Geister. In Madrid – und unter den prospanischen Parteien – ist man überzeugt, dass dies vor allem ein vorübergehender Nebeneffekt der Wirtschaftskrise sowie das Resultat massiver Propaganda der Regionalregierung ist: „Da wurden viele Lügen verbreitet. Die Regionalregierung sagt, dass Spanien katalanisches Geld stiehlt. Aber in Katalonien gibt es mindestens genauso viel Korruption“, sagt David Mejía der „Presse“. Der junge Politiker sitzt für die zentristische Pro-Spanien-Partei Ciudadanos im Regionalparlament, seine Gruppierung ist die stärkste Oppositionskraft in Katalonien. Scharf kritisiert er das katalanische Schulsystem: „Da wird eine Generation von Separatisten großgezogen.“ Um das Leben der Katalanen zu verbessern, „braucht man eine saubere, effiziente Verwaltung, nicht einen neuen Staat“.

Doch auch Mejía muss eingestehen, dass die unflexible Position der von Korruptionsskandalen geplagten konservativen Regierung wesentlich dazu beigetragen hat, den katalanischen Madrid-Frust zu steigern. Ein großer Fehler sei es gewesen, dass die Volkspartei im Jahr 2006 gegen ein neues katalanisches Autonomiegesetz geklagt habe, sagt er. Denn darin wurde Katalonien als „Nation“ definierte.

Als 2010 das Oberste Gericht in Madrid den Begriff „Nation“ für verfassungswidrig erklärte, gingen erstmals mehr als eine Million Katalanen auf die Straße. „Es wurde damals vielen Katalanen klar, dass es gemeinsam mit Spanien nicht mehr funktioniert“, erklärt heute Albert Royo, Generalsekretär des katalanischen Think-Thanks Diplocat.

„Genug ist genug“

Dass mit Madrid kein Dialog über eine Zukunft Kataloniens möglich ist, unterstreicht auch der für seine würzigen Reden bekannte katalanische Außenminister, Raül Romeva: „Wir haben so oft versucht, eine Lösung zu finden. Wir wollen ja mit der spanischen Regierung reden. Aber da ist niemand, der mit uns reden will – nicht einmal zuhören will man uns“, schimpft er vor ausländischen Journalisten. Wie viele seiner Kollegen listet er die „alltäglichen Schikanen und Interventionen“ aus Madrid auf – Gesetze, die vom Verfassungsgericht abgelehnt werden, um „die katalanische Autonomie“ auszuhöhlen. „Genug ist genug“, poltert er. „Wir wollen unseren eigenen Weg gehen. Das ist nicht eine Frage der Rechtmäßigkeit, sondern des politischen Willens des Volkes.“

Intensiv an die Zukunft denkt auch Abigail. Die junge Frau lebt im Zentrum von Barcelona, im August wird ihr erstes Baby geboren. „Es gibt keinen einzigen Politiker, der mich überzeugt. Mich frustrieren die Parteien in Madrid ebenso wie jene hier“, sagt sie resigniert. „Die Unabhängigkeit ist vielleicht ein gutes Ablenkungsmanöver für die vielen Probleme der Regionalregierung. Eine Lösung ist sie nicht.“

AUF EINEN BLICK

In Katalonien leben 7,5 Millionen Menschen, auf die Region entfällt ein Fünftel der spanischen Wirtschaftsleistung. Separatisten gewannen bei Regionalwahlen im September die Mehrheit im katalanischen Parlament und beschlossen daraufhin eine Resolution zur Trennung von Spanien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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