Szijjártó: „Ungarn unterstützt Kurz-Idee zu 100 Prozent“

Peter Szijjártó stimmt der härteren österreichischen Flüchtlingspolitik zu.
Peter Szijjártó stimmt der härteren österreichischen Flüchtlingspolitik zu.Die Presse
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Ungarns Außenminister betrachtet Sebastian Kurz als seinen Alliierten – und lehnt den Wunsch der Bundesregierung nach Rücknahme von Flüchtlingen ab.

Sie haben Sebastian Kurz neulich geholfen, das Thema Migration auf die Agenda des EU-Außenministerrats zu setzen. Gibt es eine neue ungarisch-österreichische Allianz in der Flüchtlingskrise?
Péter Szijjártó: Zwischen Sebastian Kurz und mir gab es immer schon eine persönliche Allianz. Nun herrscht aber auch in der Migrationspolitik eine klare Übereinstimmung zwischen Österreich und Ungarn. Viele Punkte, die Premier Viktor Orbán in seinem Plan „Schengen 2.0“ vorgelegt hat, fanden sich auch in den jüngsten Stellungnahmen von Sebastian Kurz wieder. Wir kooperieren in der Flüchtlingskrise enger denn je.

Österreichs sozialdemokratischen Regierungschefs fühlt sich Ungarn wohl weniger nahe. Ex-Kanzler Faymann erklärte, Ungarns Flüchtlingspolitik erinnere ihn an dunkle Zeiten. Sein Nachfolger Kern verglich Ungarn mit einem autoritären Führerstaat.
Es liegt im Interesse Ungarns, mit Österreich, unserem zweitwichtigsten Handelspartner, Freundschaft und strategische Kooperation herzustellen. Ich bin sehr enttäuscht, dass der neue Kanzler die Gelegenheit verpasst hat, die Beziehungen zu stärken, und stattdessen unseren Premierminister beleidigt hat. Aber wir hoffen, dass österreichische Politiker künftig von solch uneuropäischen Beschuldigungen gegen Ungarn Abstand nehmen.

Was halten Sie von Kurz' Vorstoß, nach dem Vorbild Australiens illegale Migranten umgehend zurückzuschicken oder auf Inseln festzuhalten?
Die Migrationspolitik der EU steht auf einem schlechten Fundament. Sie bestand bisher darin, die Zahl der Migranten zu erhöhen und danach die Lasten zu verteilen. Unser Ansatz ist es, die Anzahl der Migranten auf ein Minimum zu reduzieren. Momentan kann fast jeder bleiben, der es in die EU schafft, weil Rückführungen nicht funktionieren. Ungarn unterstützt deshalb die Idee von Sebastian Kurz, schon außerhalb der EU über Asylanträge zu entscheiden, zu 100 Prozent.

Sollte es nicht Ziel einer christlichen Partei sein, möglichst vielen Flüchtlingen zu helfen?
Ungarns Regierung ist sehr christdemokratisch geprägt. Christen müssen Notleidenden helfen. Es ist jedoch nicht unsere Pflicht, diesen Menschen ein neues Leben in Europa zu ermöglichen. Wir müssen ihnen vielmehr helfen, nahe ihrer Heimat zu bleiben und möglichst bald dorthin zurückzukehren.

Kurz will Flüchtlinge im Zug von UN-Ansiedlungsprogrammen direkt aus Krisengebieten holen. Wäre Ungarn dazu bereit?
Wir sollten nicht zu Migration nach Europa ermutigen.

Das Ansiedlungsprogramm gilt für Flüchtlinge, nicht für Wirtschaftsmigranten.
Es hat sich leider gezeigt, dass diese gutwilligen Initiativen als Einladung gewertet werden, auch von allen, die nur ein besseres Leben wollen. Ungarn tritt aber für Hotspots in Nordafrika und Nahost sein, wo EU-Mitarbeiter entscheiden, wer Recht auf Asyl in der EU hat.

Österreich möchte gemäß den Dublin-Regeln Migranten nach Ungarn zurückschieben. Warum hat Ihre Regierung dem bisher nicht zugestimmt?
Die 400.000 Migranten, die im Vorjahr durch Ungarn gingen, kamen nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem Bus, dem Zug oder zu Fuß. Gemäß den Dublin-Regeln sollten diese Leute ins erste EU-Mitgliedsland zurückgeschickt werden, dessen Boden sie berührt haben. Und das war nicht Ungarn.

. . . sondern Griechenland.
Vor allem Griechenland. Es gibt andere Staaten, mit denen Österreich über Rücknahmen sprechen muss, aber nicht mit Ungarn.

Ungarn wird also trotz der eingesetzten gemeinsamen Arbeitsgruppe keine Flüchtlinge aus Österreich zurücknehmen?
Ich sehe diese Möglichkeit nicht.

Jüngst hat ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR Ungarn heftig für die „schreckliche und menschenunwürdige Situation“ der Flüchtlinge kritisiert.
Die UNO und das UNHCR beschuldigen und beleidigen Ungarn permanent. Wir haben uns daran gewöhnt. Ungarn erfüllt alle internationalen Verpflichtungen. Aber inzwischen verhalten sich viele Migranten aggressiv, brechen Gesetze, wollen das Land umgehend verlassen – in Richtung Österreich und Deutschland. Aber Ungarn soll gemäß Dublin Asylwerber nicht weiterziehen lassen, bevor das Verfahren abgeschlossen ist.

Ungarn sperrt sie ein.
Wenn jemand die Infrastruktur an unserer Grenze ruiniert und unser Land illegal betritt, ist das ein Verbrechen. Und auf diese Verbrechen steht eine Gefängnisstrafe.

Wenn ein Flüchtling ein Land illegal betritt, kann man ihn dafür nicht bestrafen. Das verbietet die Genfer Konvention. Die UNO bezeichnet zudem die Rückschiebungen an der Grenze als illegal.
Ich frage: Welchen Grund kann jemand haben, unsere Grenze zu verletzen, wenn er aus einem sicheren Staat wie Serbien oder Kroatien kommt? Das Leben der Menschen ist dort nicht in Gefahr. Wenn Ungarn an eine Kriegszone grenzen würde, wäre das ein anderer Fall.

Unter welchen Bedingungen wäre Ungarn bereit, sich an einem EU-Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge zu beteiligen?
Unsere Priorität muss der Grenzschutz sein. So lange jeden Tag Hunderte oder gar Tausende Migranten die EU illegal betreten, ist es inakzeptabel, über Verteilung zu sprechen. Wenn wir die Kontrolle über die EU-Außengrenze nicht zurückgewinnen, können wir gar nicht wissen, wie hoch die endgültige Zahl der Migranten ist.

Die EU-Kommission will Mitglieder, die keine Flüchtlinge aufnehmen, mit Geldstrafen belegen.
Wir waren sehr enttäuscht über diese simple Erpressung: Wer der EU-Kommission nicht folgt, muss zahlen. Das ist inakzeptabel. Die EU-Kommission hat sich mit ihrer gescheiterten Migrationspolitik in die Sackgasse manövriert. Sie war in den vergangenen 18 Monaten unfähig, eine gemeinsame europäische Position zu erarbeiten. Und der letzte Vorschlag der Kommission machte alles schlimmer.

Die Kommission konnte auch deshalb keinen Konsens herstellen, weil sich Regierungen wie Ihre für Alleingänge entschieden.
Ich warnte in EU-Außenministerräten immer wieder vor der Balkan-Route, doch keiner hörte zu. Was hätte Ungarn tun sollen, als täglich zehntausende Migranten unsere Grenze verletzten? Hätten wir unsere Grenze nicht schützen sollen? Die EU-Kommission hatte lange genug Zeit, Antworten zu finden.

Auf den Punkt gebracht: Wie beschreiben Sie den derzeitigen Zustand der EU?
Es ist hoch an der Zeit, Einigkeit zu zeigen. Denn Europa hinkt im globalen Wettbewerb hinterher. Wenn wir Zeit damit verschwenden, einander Vorwürfe zu machen, statt Lösungen für die Zukunft zu suchen, werden wir noch schwächer.

Warum hat Ihre Regierung die Briten in Zeitungsanzeigen aufgerufen, nicht aus der EU auszutreten?
Wenn Großbritannien austritt, wird das der EU politischen und wirtschaftlichen Schaden zufügen. Es ist essenziell, dass die pragmatische britische Stimme erhalten bleibt. Wir haben bei vielen Themen dieselben Ansichten. Auch Ungarn will mehr Subsidiarität.

Befürchten Sie, dass die Europäische Union so weitermacht wie bisher, wenn die Briten den EU-Austritt ablehnen?
Wenn die Briten für den Verbleib in der EU stimmen, sind das gute Nachrichten. Es ist offensichtlich, dass sich die EU in vielerlei Hinsicht verändern muss, um wettbewerbsfähiger zu werden. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat sich deutlich gezeigt, dass die Erfahrungen und das Wissen, um ernste Herausforderungen zu meistern, auf Ebene der Mitgliedstaaten angesiedelt ist. Es sollten keine Souveränitätsrechte mehr von der Ebene der Nationalstaaten nach Brüssel transferiert werden.

("Die Presse"-Printausgabe, 23.6.2015)

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