Als mitten in Europa wieder der Krieg ausbrach

Wohnsilo in Slowenien - block of flats
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Slowenien. Vor 25 Jahren nahm Slowenien seinen Abschied aus Jugoslawien. Es folgten zehn Tage lange Kämpfe. Der kurze Konflikt war nur die Ouvertüre für blutige Kriege und Vertreibungen in dem zerfallenden Vielvölkerstaat.

Belgrad/Ljubljana. Vom Beginn des Krieges in Europa nach über vier Jahrzehnten Frieden schienen im Juni 1991 selbst die Beteiligten überrascht. Gleich nach seiner Matura in Belgrad war der Serbe Jovan Radaković im Mai 1991 zum Militärdienst in die Jugoslawische Volksarmee (JNA) einberufen und nach Kroatien abkommandiert worden. „Natürlich hat man als 18-Jähriger keine Ahnung, was eigentlich passiert. Sie erzählten uns etwas vom Feind, wir fuhren an die Front. Und plötzlich wurde in Slowenien eine Pistole auf mich gerichtet. Da schießt dir in einer Sekunde das ganze Leben durch den Kopf.“

Vom Krieg überrumpelt wurde im slowenischen Brežice auch der damals 25-jährige Buchhalter Mitja Janković. Von einem Tag auf den anderen seien die Freiwilligen von Sloweniens Territorialverteidigung (TO) mobilisiert worden, erinnert sich der heute 50-jährige Sekretär des Veteranenverbands ZVVS. „Wir bekamen den Befehl, keine Dummheiten zu machen – und auf keinen Fall als Erste zu schießen.“

Die Folgen einer Loslösung von Jugoslawien hatte Sloweniens erste demokratisch gewählte Regierung jedoch nicht nur sorgfältig durchkalkuliert, sondern auch militärisch vorbereitet. Auf die Übernahme der Kontrolle der internationalen Grenzübergänge durch die TO reagierte Jugoslawiens Staatsführung in Belgrad noch an demselben Tag mit dem Befehl an die JNA, die Staatsgrenzen zu schützen. Am 28.Juni begannen die offenen Kämpfe zwischen der TO und slowenischer Polizei einerseits und der JNA andererseits.

Ohne eigene Panzer und Kampfflugzeuge konzentrierte sich die Territorialverteidigung darauf, den Vormarsch der Volksarmee an die Grenzen mit Barrikaden zu bremsen und Kasernen in Slowenien zu blockieren. Vor allem um die grenznahen JNA-Kasernen sollten während des kurzen Krieges die heftigsten Gefechte wogen: Österreich sicherte seine Grenze mit dem Einsatz des Bundesheeres.

Niedrige Kampfmoral

Die JNA war dem Gegner zwar überlegen. Doch nicht nur die mangelnde Kampfmoral ihrer Rekruten, sondern auch der Mangel an Rückhalt in der slowenischen Bevölkerung machten den JNA-Generälen zu schaffen.

Schon am 3. Juli willigte die JNA in einen Waffenstillstand ein. Mit dem sogenannten Brioni-Abkommen, bei dem Slowenien unter Vermittlung der UNO, Österreichs und der EG die dreimonatige Aussetzung der Unabhängigkeit und die JNA den Abzug ihrer Truppen zusicherten, endete am 7. Juli der sogenannte Zehn-Tage-Krieg.

Mit 18 gefallenen TO-Soldaten, 44 ums Leben gekommenen JNA-Angehörigen und zwölf getöteten Ausländern war dessen Blutzoll vergleichsweise gering: Auch weil in Slowenien im Gegensatz zu Kroatien keine größere serbische Volksgruppe lebt, ließ Belgrad die abtrünnige Bruderrepublik relativ problemlos ziehen. Doch der kurze Slowenien-Krieg sollte nur die Ouvertüre sein für das triste Jahrzehnt der Jugoslawien-Kriege.

2004 trat Slowenien als erster ex-jugoslawischer Staat der Nato und der EU, 2007 der Eurozone, 2008 dem Schengen-Abkommen bei. TO-Veteran Janković bekam seine damaligen Gegner nicht zu Gesicht – und feuerte keinen Schuss ab. Der Serbe Radaković überlebte als Deserteur die folgenden Kriege in Kroatien und Bosnien, in denen 26 der 33 Soldaten seiner Einheit fallen sollten. „Mein Bruder wartete im Auto vor meiner Kaserne in Zagreb. Als der Wachsoldat nicht schaute, rannte ich los.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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