Führungskampf bei britischen Konservativen

David Cameron und Boris Johnson.
David Cameron und Boris Johnson.(c) REUTERS (LUKE MACGREGOR)
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Nachdem sie das Land aus der EU geführt haben, stehen die Brexit-Führer an der Schwelle zur Macht. Bis 2. September wollen die Tories die Cameron-Nachfolge regeln.

London. Das Licht der Öffentlichkeit hat Boris Johnson in den Tagen, seit er Großbritannien aus der EU geführt hat, gescheut. Aber untätig ist er nicht geblieben. Nach Medienberichten traf sich der ehemalige Londoner Bürgermeister am Wochenende mit Hinterbänklern seiner konservativen Partei, um die nächsten Schritte zu beraten. Welche das sein werden, ist das wohl am schlechtesten gehütete Geheimnis des politischen London: Schon in den nächsten Tagen wird die Kandidatur Johnsons für den Vorsitz der regierenden Tory Party und damit das Amt des Premierministers erwartet.

Als er sich gestern von seinem Landsitz in der Grafschaft Oxford in die Hauptstadt zurückbegab, präsentierte er sich schon ganz staatsmännisch: Johnson begrüßte die Stellungnahme von Schatzkanzler George Osborne zur Beruhigung der Märkte und erklärte, „die Börsen sind stabil, das Pfund ist stabil, und es gibt keinen Grund zur Sorge“. Während er sprach, musste der Handel mit den Aktien der Banken RBS und Barclays wegen Verlusten von bis zu 14 Prozent ausgesetzt werden. Einem solchen Mann, der „hinter der Maske sorgfältig gepflegter Desorganisation eine geradezu Besorgnis erregende Flut an Drang und Ehrgeiz verbirgt“, wie es seine Biographin Sonia Purnell schildert, das Vereinigte Königreich in der größten Krise seit 1945 anzuvertrauen, macht selbst seinen Parteigängern Sorge. Um Innenministerin Theresa May sammelt sich derzeit das ABB-Lager (Anyone But Boris), und schon in den nächsten Tagen wird von ihr eine öffentliche Deklaration erwartet. May kann nicht nur auf die Johnson-Skeptiker zählen. Aus der Umgebung des scheidenden Premierministers David Cameron heißt es: „Für Boris ist ein besonderer Platz in der Hölle reserviert. Wir müssen uns hinter Theresa sammeln. Sie ist die Erwachsene.“

Als weitere Kandidaten werden Sozialminister Stephen Crabb, Gesundheitsminister Jeremy Hunt und Unterrichtsministerin Nicky Morgan gehandelt – sie alle sind chancenlos. Schatzkanzler Osborne, engster Mitarbeiter Camerons und führender EU-Anhänger, will angeblich das Außenministerium. Sein Verbleib könnte ein Signal an die früheren EU-Partner sein: Sie werden in den Verhandlungen mit einem Brexit-Premier zu tun haben. „Es wäre schwer vorstellbar, einen Regierungschef zu haben, der für die EU gestimmt hat“, so Ex-Sozialminister Iain Duncan Smith. May stand auf der Seite der EU-Befürworter, aber auffällig schweigsam.

Labour Party in Selbstauflösung

An Johnson dürfte also kein Weg vorbeiführen. Er hat keine Regierungserfahrung und hat offenbar selbst nicht mit dem Brexit gerechnet, obwohl er ihn maßgeblich herbeigeführt hat. Zum Zögern bleibt nun aber keine Zeit. Die Tories verlautbarten gestern, dass Camerons Nachfolge bis zum 2. September geregelt sein soll. Für einen möglichen künftigen Premier Johnson sind die innenpolitischen Aussichten glänzend: Die oppositionelle Labour Party befindet sich im Übergang von Rebellion gegen Parteichef Jeremy Corbyn zur öffentlichen Selbstauflösung. Bei den erwarteten vorgezogenen Neuwahlen kann Johnson nur gewinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2016)

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