China und Taiwan steuern auf neue Eiszeit zu

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Aus Ärger über die neue Präsidentin setzt Peking die diplomatischen Beziehungen zu Taipeh aus. Tsai Ing-wen bekennt sich nicht offen zum Ein-China-Prinzip. Nun testet Taiwan ein neues Raketenabwehrsystem.

Wien/Taipeh. Der Termin steht bereits seit einem Jahr. Doch die Nachricht, dass Taiwan im Juli ein neues Raketenabwehrsystem testet, dürfte die Stimmung an der Taiwanstraße anheizen – zumal die Flugabwehr PAC-3 nicht nur in den USA hergestellt wurde, sondern auch dort erprobt wird. Anfang nächsten Monats wird die US-Armee auf einem Übungsgelände in New Mexico einen Angriff Chinas mit ballistischen Raketen simulieren. Schließlich soll PAC-3 im Ernstfall die Hauptstadt Taipeh sowie die Metropolen Taichung und Kaohsiung vor Attacken des kommunistischen Nachbarn abschirmen.

Derzeit seien 1500 chinesische Raketen auf die Insel gerichtet, sagt das Außenministerium. Die USA unterhalten zwar keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, seitdem Washington die Volksrepublik China 1979 anerkannte, doch sie sind weiter der wichtigste Verbündete und Waffenlieferant.

Der Zeitpunkt des Tests kommt der neuen taiwanesischen Präsidentin, Tsai Ing-wen, jedenfalls gelegen: Sie muss Stärke demonstrieren. Die Vorsitzende der Demokratischen Fortschrittspartei ist Peking ein Dorn im Auge. Seit Wochen erhöht die Zentralregierung den Druck auf das erste weibliche Staatsoberhaupt der Insel. Erst am Wochenende gab das Pekinger Büro für Taiwan-Angelegenheiten bekannt, die diplomatischen Beziehungen zur Republik China auf Eis gelegt zu haben – und das bereits kurz nach dem Amtsantritt Tsais Ende Mai. Sie habe sich nicht zum „Konsens von 1992“ und damit zum Ein-China-Prinzip bekannt. Tsai hatte bei ihrer Antrittsrede betont, den Status quo mit China aufrechterhalten zu wollen. Sie bekräftigte jedoch nicht, dass Taiwan ein Teil der Volksrepublik sei.

Unmut über Auslieferungen

Diese Haltung ist ein Bruch zum Kurs des Vorgängers, Ma Ying-jeou, der sich Peking politisch und wirtschaftlich erheblich angenähert hatte. Zunehmend nervös fürchtet die Zentralregierung, Tsai könnte die formale Unabhängigkeit vorantreiben. Während Peking Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet, sieht sich die Inselrepublik als eigenständige Demokratie. Sie hat ihre Ursprünge im Bürgerkrieg, als die von den Kommunisten besiegten Nationalchinesen 1949 vom Festland flohen.

Auch persönlich versucht China, Tsai anzufeinden. Die Verbalattacken gegen die 59-Jährige kulminierten Ende Mai in einem Zeitungskommentar: Die Politikerin habe radikale Ansichten, da sie Single sei, hieß es. Streit gab es in den vergangenen Monaten zudem wegen der „Entführung“ von Taiwanesen aus dem Ausland nach China. Mehrfach lieferten Kambodscha, Malaysia und Kenia, alles Verbündete Pekings, taiwanesische Bürger wegen kleiner Vergehen an chinesische Behörden aus.

Dabei hat Peking noch andere Methoden, um Tsai zum Einlenken zu bewegen. So könnte China Taiwans wenige diplomatische Verbündete durch Investitionen locken. Auch Einschränkungen für festlandchinesische Touristen würden die schwächelnde Wirtschaft schwer treffen. Es wäre ein direkter Schlag für die Präsidentin, deren ausgewiesenes Ziel es ist, die Konjunktur anzukurbeln. (maka)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2016)

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