Der Anfang eines Terrorsommers?

Im Visier des Terrors: In der Nacht auf Mittwoch schlugen die Terroristen auf dem Atatürk-Flughafen im europäischen Teil Istanbuls zu. Das Szenario glich dem in Brüssel im März.
Im Visier des Terrors: In der Nacht auf Mittwoch schlugen die Terroristen auf dem Atatürk-Flughafen im europäischen Teil Istanbuls zu. Das Szenario glich dem in Brüssel im März. (c) APA/AFP/OZAN KOSE
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Attentat in Istanbul. Der Anschlag auf den Atatürk-Airport trägt die Handschrift der Terrormiliz des Islamischen Staates – und trifft die Türkei an einem neuralgischen Punkt: dem Tourismus zu Beginn der Urlaubssaison.

Wien/Istanbul. Barack Obama und Wladimir Putin, die mächtigsten Männer der Welt, kondolierten Recep Tayyip Erdoğan via Telefon zu dem verheerenden Terroranschlag auf den Atatürk-Flughafen in Istanbul. Für den türkischen Präsidenten mag die Solidaritätsadresse des Kreml-Chefs indessen mehr wert gewesen sein, signalisiert sie doch das Ende der diplomatischen Eiszeit zwischen Ankara und Moskau nach dem Abschuss des russischen Bombers vor sieben Monaten. Die russischen Sanktionen schmerzten die Türkei, der Tourismus brach in der Folge massiv ein.

Doch in der Nacht auf Mittwoch versetzten Terroristen dem Land einen neuen Schlag. Das Attentat auf das Drehkreuz im europäischen Teil Istanbuls, den drittgrößten Flughafen Europas, forderte mehr als 40 Todesopfer und Dutzende Schwerverletzte. Es trifft die Türkei zu Beginn der Urlaubssaison in Europa an einem neuralgischen Ort, und die Indizien deuten auf eine Täterschaft des so genannten Islamischen Staates (IS), der für den Mittelmeerraum martialisch einen „Terrorsommer“ angekündigt hatte. Markierte Istanbul nun den Anfang?

Das Szenario am Atatürk-Airport erinnert fatal an das Attentat auf den Brüsseler Flughafen vor drei Monaten und an die Terrorserie in Paris im November 2015. Die Terroristen schossen auf dem Flughafenareal und teils im Innenbereich blindlings um sich, ehe sie, in die Enge gedrängt, die Sprengstoffgürtel zündeten und sich in die Luft jagten.

In einer ersten Stellungnahme wiesen die türkischen Behörden vage auf eine ausländische Herkunft der Attentäter hin. Erdoğan sprach gegenüber Putin zweckoptimistisch von einem Wendepunkt im Kampf gegen den Terror. Tatsächlich ist die Türkei von zwei Seiten ins Visier gerückt. Seit beinahe einem Jahr lässt eine Attentatswelle das Land im Monatsrhtyhmus erbeben. Seit dem Anschlag auf ein Kulturzentrum in Suruç im Südosten der Türkei im Juli 2015, bei dem 34 mehrheitlich kurdische Aktivisten zu Tode gekommen waren, stieg der Blutzoll auf fast 300 Menschen.

Fanal für Bürgerkrieg

Für die Türkei war es das Fanal, den Kampf gegen die IS-Milizen jenseits der türkischen Grenze in Syrien aufzunehmen, an deren Aufstieg die Regierung in Ankara nicht ganz schuldlos war. Sie hat den Zustrom ausländischer Kämpfer zumindest nicht behindert und deren Logistik und Infrastruktur auf türkischem Territorium lange ignoriert. Zugleich erklärte sie der PKK, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei, den Krieg, mit der Erdoğan zuvor noch einen historischen Ausgleich gesucht hatte. Der erbittert und mit hoher Intensität geführte Konflikt mit den PKK-Milizen in Südostanatolien hat die Türkei in einen Zweifronten-Krieg getrieben.

Seither erschüttern Detonationen nicht nur die Städte in den Kurdengebieten im Südosten, sondern auch die Metropolen Ankara und Istanbul. Während die „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK), eine kurdische Splittergruppe, die Institutionen des Staats – insbesondere Polizei und Militär – ins Fadenkreuz nehmen, zielen die IS-Terroristen auf Touristen – unter anderem eine deutsche Urlaubergruppe vor der Blauen Moschee in Istanbul oder auf die Einkaufsmeile Istlikal Caddesi.

Versetzungswelle in der Polizei

Regierungsgegner werfen der Erdoğan schon lange vor, angesichts der Bedrohung durch den IS nicht entschlossen genug zu handeln. So seien Terrorexperten der Polizei im Zuge der Säuberungswellen bei den Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren versetzt oder gefeuert worden. Der Präsident hatte die Versetzungswelle angeordnet, um mutmaßliche Anhänger seines Widersachers Fethullah Gülen aus dem Staatsapparat zu entfernen.

Ein Rezept gegen die Gefahr besitzt Ankara bisher nicht, ein Gefühl der Verunsicherung breitet sich aus. Die für die Wirtschaft eminent wichtige Fremdenverkehrsbranche erlebt wegen der Terrorwelle die schlechteste Saison seit Jahrzehnten. Im Nahen Osten stand die Türkei – bis zur jüngsten Aussöhnung mit Russland und Israel – nach Jahren des überaus selbstbewussten Auftretens als selbst ernannte Führungsmacht isoliert da. Die Wiederannäherung an Moskau und Jerusalem soll der türkischen Diplomatie Spielraum und den Tourismus ankurbeln.

Weitere Infos:www.diepresse.com/Terror in der Türkei

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2016)

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