„Jeremy Corbyn tritt nicht zurück“

The leader of Britain's opposition Labour party, Jeremy Corbyn leaves a service on the eve of The Battle of the Somme in London
The leader of Britain's opposition Labour party, Jeremy Corbyn leaves a service on the eve of The Battle of the Somme in LondonREUTERS
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Die Labour-Linke sammelt sich hinter dem umstrittenen Parteichef, die Parteirechte will einen radikal veränderten Auftritt nach außen. Beide Seiten versuchen nun, ihre Fußtruppen zu mobilisieren.

London. Genau zum 100. Jahrestag des Beginns der Schlacht an der Somme beginnt die Situation in der britischen Labour Party dem Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg zu gleichen. Während die seit Tagen angekündigte Offensive der Gegner des umstrittenen Parteichefs weiter auf sich warten lässt, verkündete einer seiner engsten Verbündeten, Schattenschatzkanzler John McDonnell, gestern: „Jeremy Corbyn tritt nicht zurück.“ Damit herrscht eine Pattstellung.

Wie im Ersten Weltkrieg versuchen Corbyn-Anhänger und –Gegner derzeit heftig, das Fußvolk zu mobilisieren. Seit Wochenbeginn hat die Labour Party mehr als 60.000 neue Mitglieder gewonnen, ein Zuwachs von 15 Prozent. Nach den Statuten entscheiden am Ende die Parteimitglieder in einer Urabstimmung über den neuen Chef.

Gegen den umstrittenen Corbyn wird seit Tagen eine Kampfkandidatur der bisherigen Schattenwirtschaftsministerin, Angela Eagle, erwartet. Dafür braucht sie die Unterschriften von 50 der 194 Labour-Abgeordneten. Dass sie diese sicher hat, steht außer Zweifel. Dem Vernehmen nach will Eagle aber Corbyn weiter die Chance für einen „Rückzug in Würde“ geben.

Während sich Corbyn bisher darauf berufen konnte, im Vorjahr von 60 Prozent der Parteimitglieder gewählt worden zu sein, laufen ihm nun die Anhänger davon. Nach einer neuen Umfrage der „Times“ wollen heute nur mehr 41 Prozent, dass Corbyn die Partei in die nächste Wahl führt und 44 Prozent wollen seinen sofortigen Rücktritt. Schlecht sind die Nachrichten aber auch für seine Gegner: 60 Prozent der Labour-Mitglieder lehnen einen Sturz Corbyns ab.

Neuausrichtung von Labour

Worum es im Kern geht, ist ein Streit um die Neuausrichtung der Partei. Corbyn steht für einen linken Kurswechsel zu einer Politik, mit der sich Labour bereits in den 1970er-Jahren unwählbar gemacht hat. Die Parteirechte hingegen setzt auf eine radikale Veränderung des Auftritts. Wo sie die Substanz sieht, bleibt unklar. Bisher ist nicht erkenntlich, dass die Partei aus dem Verlust Schottlands und danach der Abwendung der englischen Arbeiterklasse ihre Lektionen gelernt hat.

„Eine Fraktion will zurück zu 1945“, als Labour den britischen Sozialstaat einführte, „die andere ins Jahr 1997“, als mit New Labour die Präsentationskunst triumphierte, schreibt der Journalist John Harris im „Guardian“. In Wahrheit aber, so der Chef des linken Thinktanks Compass, Neal Lawson, geht es bei Labour nur um eines: „Wer wird Kapitän auf der Titanic?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2016)

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