Terror in Pariser Café: „Das begleitet dich ein Leben lang“

Die Pariser Cafés sind acht Monate nach den Anschlägen besucht wie eh und je.
Die Pariser Cafés sind acht Monate nach den Anschlägen besucht wie eh und je.(c) Reuters
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19 Menschen wurden vor dem Pariser Café La Belle Equipe erschossen. Trotzig kamen die Gäste nach der Neueröffnung wieder. Narben bleiben.

Paris. „Allein die Liebe kann uns für die Tiefschläge des Lebens entschädigen.“ Es klingt wie ein Allerweltssatz, aber nicht an diesem Ort, wo der Schriftzug auf einem unscheinbaren Schild an einer Hinterwand hängt. Der Tiefschlag hier, im Café-Restaurant La Belle Equipe, war ein Massenmord. Und den Satz an der Wand hat einmal der Schriftsteller Yasmina Khadra formuliert, ein Exil-Algerier – und Muslim.

19 Menschen wurden im La Belle Equipe erschossen. Nur im Bataclan-Konzertsaal waren es an jenem schwarzen Freitag, den 13. November, mehr. La Belle Equipe liegt im hippen elften Arrondissement der Hauptstadt, einem jener wenigen Mulitkulti-Bezirke Frankreichs, von dem man sagt, dass dort die Integration gelungen ist. Es gibt hier arabische Restaurants, jüdische Geschäfte – und unter die Fußgänger, die an diesem Junivormittag am La Belle Equipe vorbeispazieren sind genauso Muslime in weißen traditionellen Gewändern wie orthodoxe Juden.

Just an diesen Ort also, mit seinem Durch- und Miteinander der Kulturen, hat der IS seinen Terror getragen. Doch dann erinnert man sich, dass den Jihadisten mit ihren Fantasien von einem diktatorischen Gottesstaat dieses Laissez-faire hier verhasst sein muss. Auch La Belle Equipe atmet diesen Kosmopolitismus. Der Eigentümer des Cafés ist Jude. Seine Frau war Muslimin. Sie starb an jenem 13. November 2015, nachdem der schwarze Seat in der Rue de Charonne parkte und seine Insassen drei Minuten lang auf alles schossen, was sich auf der Terrasse des Cafés bewegte.

„Ich bin nicht so mutig“

Mehr als vier Monate nach dem Blutbad wagte auch La Belle Equipe als letztes der in Paris angegriffenen Cafés den Neustart. „Es ist Frühling!“, verkündete die Mannschaft auf Facebook, die Losung für die Wiedereröffnung am 21. März 2016. Elsa kam sofort wieder. „Ich habe mich entschieden, keine Angst zu haben“, sagt die junge Pariserin trotzig. Ihre Freundin Agathe nickt zwar: „Aber ich bin nicht so mutig wie Elsa.“ Sie habe noch immer Angst, mit der U-Bahn zu fahren. „Es ist aber nicht nur der Terror, der mich beunruhigt.“

Agathe sieht aus wie jemand, dem im Leben alles zufällt: Die Pariserin ist 25 Jahre jung, schick gekleidet im bauchfreien Hosenanzug, sie spricht perfektes Englisch, hat einen guten Job – und trotzdem Zukunftsangst. „Die Politik führt das Land nicht“, sagt sie. „Der soziale Zusammenhalt ist in Gefahr.“ Während Elsa und Agathe im La Belle Equipe an ihrem grünen Tee nippen, säumen nur ein paar Hundert Meter weiter Dutzende Polizeiwagen die Straßen, behelmte Polizisten mit Schlagstöcken formieren sich am Place de la Bastille – Gewerkschafts-Demonstration.

Paris sei nach den Anschlägen trauriger geworden, sagt Elsa. Die Stadt habe sich verändert. So wie La Belle Equipe. Die Fassade wurde neu und blaugrün gestrichen, die Einrichtung und der Boden auf dem die Toten lagen, ausgetauscht. Der Besitzer entschied, dass es weitergehen soll – aber nicht so wie vorher. Den Tod seiner Frau wolle er hier nicht visualisieren müssen, sagte er in einem Interview. Sicherheitspersonal gibt es im Café übrigens nach wie vor nicht.

„Die Stadt wurde trauriger“

„Die schöne Mannschaft“ – so lässt sich La Belle Equipe übersetzen. Auch neun Mitglieder waren unter den Toten. Man sieht sie auf der Facebook-Seite des Lokals, auf den älteren Bildern: junge Menschen, die mit strahlendem Gesicht das Tagesgericht vor die Kamera halten.

Der junge Kellner mit dem durchgestylten schwarzen Haar und der Hornbrille zählt zu den wenigen Überlebenden. Er hatte frei an jenem Freitag, den 13. Über den Anschlag will er nicht reden. „Das Leben geht weiter“, sagt er. Dann amüsiert er sich über das schlechte Abschneiden der Österreicher bei der Fußball-EM und das gute der Isländer. Doch irgendwann im Gespräch holt ihn dieser 13. November wieder ein. Er legt das Messer weg, mit dem er den Schnittlauch schneidet, atmet tief durch und sagt: „Das alles wird mich für den Rest meines Lebens begleiten.“ Am Tag der Anschläge hatte er seinen kleinen Bruder in der Nähe der Bar abgeholt. Er sah das Blaulichtmeer vor dem Café. „Später kam der Anruf.“ Sie zählten ihm die Toten auf: „Das waren nicht nur Kollegen. Das waren meine Freunde.“ Ihre Namen stehen nun in kleiner Schrift auf zwei Bildern im La Belle Equipe. Heute kommen mehr Touristen als vor dem Anschlag, sagt er. Mancher klagte, das Lokal würde mit seinem Schicksal Geschäfte machen.

Auf der Terrasse vor dem Café, also dort, wo sich noch vor wenigen Monaten ein Meer aus Blumen ausgebreitet hatte, sitzen an jenem Vormittag auch ein paar junge Pariser, die Köpfe über ihre Laptops gesenkt, und ein älterer Herr, ein Tourist aus Österreich, wie sich herausstellt. Er komme hierher jeden Tag, sein Hotel liege gleich gegenüber. Dass hier ein Anschlag stattfand, wusste er nicht. „Ich bin alt. Ich hab' keine Angst mehr“, sagt er und zieht an seiner Zigarre. La vie continue. Das Leben geht weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2016)

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