Australien: Messerwetzen gegen Malcolm Turnbull

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Nach der Parlamentswahl droht im Parlament in Canberra ein Patt. Unabhängige Abgeordnete als Zünglein an der Waage für eine Minderheitsregierung. Premier Turnbull stemmt sich noch gegen einen Rücktritt.

Wien/Canberra. Australien ist nicht bekannt für sein langwieriges demokratisches Procedere. Wie im Mutterland Großbritannien sind die Wahlkämpfe kurz und bündig, und der Wahlsieger steht üblicherweise am Samstagabend fest, kurz nachdem die Wahllokale geschlossen haben. Diesmal aber ist alles anders in Down Under: Die Verhältnisse sind auf den Kopf gestellt.

Nach dem längsten Wahlkampf in der Geschichte des Landes – er währte mehr als zwei Monate – war die Auszählung der Briefwahlstimmen am Dienstag immer noch nicht beendet. Die Verkündung des Endergebnisses zieht sich. „Hung over“, titelte eine australische Zeitung in einem Wortspiel. Es besagt so viel wie ein Patt im Parlament in Canberra wie auch eine Katerstimmung (Hangover) in den politischen Zirkeln, insbesondere bei den regierenden Konservativen unter Premier Malcolm Turnbull.

Der 61-jährige frühere Investmentbanker gilt schon jetzt als der große Verlierer: Er rief Neuwahlen in beiden Parlamentskammern aus, um seine Macht auszubauen, hat jedoch das Gegenteil bewirkt – instabile Verhältnisse. Die Rechtskoalition büßte ihre Mehrheit ein und lieferte sich bis zuletzt einen Kopf-an-Kopf-Kampf mit der oppositionellen Labor Party im Unterhaus mit seinen 150 Sitzen. Beide Parteien buhlen längst um die Unterstützung unabhängiger Parlamentarier, der Kandidaten der Grünen oder der Regionalpartei des Nick Xenophon für die Bildung einer Minderheitsregierung. Von einem solchen Experiment unter einer Labor-Führung haben sich die Australier vor drei Jahren enttäuscht abgewandt. Labor-Chef Bill Shorten unterstellte der Regierung prompt, sie strebe rasche Neuwahlen an.

Rache und Abrechnung

Die Ernüchterung sei groß, konstatierte Malcolm Turnbull – und am allergrößten wohl bei ihm selbst. Er hat sich ja als Garant der Stabilität präsentiert. Von außen wie von innen steigt der Druck auf den Regierungschef nach einem Rücktritt mit jedem Tag, und für manche Parteifreunde kommt nun die Zeit für kalte Rache und die Chance für eine Abrechnung. Der Premier erklärte zwar, er übernehme die Verantwortung für die Wahlniederlage, um den Kritikern so den Wind aus den Segeln zu nehmen. Gegen einen Rücktritt – den fünften eines Regierungschefs in Canberra innerhalb von sechs Jahren – stemmt sich Turnbull einstweilen noch.

Vor zehn Monaten hat Turnbull seinen Rivalen, den Premier Tony Abbott, aus dem Amt geputscht. Viele erhofften sich vom ehemaligen Umweltminister einen liberaleren Kurs in der Frage der Umwelt- und Gesellschaftspolitik, etwa bei Maßnahmen gegen den Klimawandel oder der Legalisierung der Homosexuellen-Ehe, und vor allem bessere Perspektiven für einen Wahlsieg. Im Wahlkampf machte Turnbull indessen Zugeständnisse an die Abbott-Fraktion, was wiederum die eher liberalen Wechselwähler abschreckte.

John Howard, der langjährige Premier und große alte Mann der Konservativen, versuchte derweil die Partei auf Turnbull einzuschwören. „Wir sollten uns nicht gegenseitig die Kehlen aufschlitzen“, mahnte er. Einige Politologen rieten dem Premier indessen, seinen Schreibtisch aufzuräumen. „Es gibt viel Wut in der Partei. Der rechte Flügel wird sich auf ihn stürzen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2016)

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