Erdogans Geschäft mit Staatsbürgerschaften für Syrer

(c) REUTERS (AMMAR ABDULLAH)
  • Drucken

Ankara will syrischen Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt und den Erhalt der Staatsbürgerschaft erleichtern, jedoch nicht aus Nächstenliebe.

Die türkische Regierung überrascht momentan mit einer neuen Willkommenskultur: Am Samstag berichtete die Tageszeitung "Habertürk", dass bis zu 300.000 syrische Flüchtlinge eingebürgert werden könnten. Der Erhalt der türkischen Staatsbürgerschaft sei zunächst für 30.000 bis 40.000 gut ausgebildete Syrer vorgesehen, hieß es in dem Bericht.

So sollen in einem neuen Registrierungssystem berufliche Qualifikation und Bildungshintergrund der Flüchtlinge erfasst werden. Besonders die Beschäftigung syrischer Mediziner solle erleichtert werden. Ebenfalls am Samstag meldete die Tageszeitung "Hürriyet", dass zwischen Jänner und Juni diesen Jahres 5502 syrische Flüchtlinge in der Türkei eine Arbeitserlaubnis erhalten hätten.

Zahlen, die aufhorchen lassen: Denn die mangelnde Perspektive auf Erwerb der türkischen Staatsbürgerschaft, und die prekären und meist auch illegalen Arbeitsverhältnisse galten bisher als wichtigste Gründe für Syrer, von der Türkei weiter nach Europa zu ziehen. Deswegen vereinbarten Brüssel und Ankara im November 2015 einen Aktionsplan in der Flüchtlingskrise. In dem Aktionsplan sicherte die Türkei unter anderem zu, syrischen Flüchtlingen die "Teilnahme an der Wirtschaft" zu ermöglichen.

Syrer als Gewinnbringer

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan stellte erstmals Anfang Juli syrischen Flüchtlingen einen erleichterten Zugang zur türkischen Staatsbürgerschaft in Aussicht. "Wir betrachten Euch als unsere Brüder und Schwestern", sagte er in der südtürkischen Provinz Kilis laut Medienberichten. "Die Türkei ist auch Euer Vaterland." Dann fügte er noch hinzu, die emotionalen Grenzen seines Landes seien halt größer als ihre offiziellen.

Hinter den warmherzigen Worten Erdogans steckt jedoch ein knallhartes politisches Kalkül: Denn Ankara hat nach eigenen Angaben mehr als 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 aufgenommen. Jetzt hat die islamisch-konservative AKP-Regierung das Potenzial der Geflohenen erkannt - Syrer werden nicht mehr nur als finanzielle Belastung angesehen, sondern auch als Gewinnbringer. Nicht wenige der Geflohenen retteten ihr Vermögen in die Türkei. Rund 10 Millionen US-Dollar (9,03 Mio. Euro) sollen Syrer schon in die Türkei investiert haben, momentan zählen sie sogar zu der größten ausländischen Investorengruppe überhaupt.

Überall im Land haben Syrer sich selbstständig gemacht, etwa mit Lebensmittelgeschäften und Reisebüros, so schaffen sie Arbeitsplätze, zahlen Steuern. Es gibt sogar Wirtschaftswissenschaftler, die behaupten, dass Syrer das Vergleich zu den Vorjahren momentan schleppende Wirtschaftswachstum kräftig ankurbeln würden, und ohne die Neuankömmlinge die Wachstumszahlen noch weiter schwächeln würden.

Bei Eingebürgerten auf Stimmenfang?

Experten weisen aber auch immer darauf hin, dass solche Erfolgsgeschichten nur möglich seien, wenn die Flüchtlinge besser in die Türkei integriert würden. Nur ein Bruchteil der Geflohenen lebt in einem der Flüchtlingslager, die meisten leben unterhalb der Armutsgrenze und überleben nur durch Schwarzarbeit. Nach Schätzungen des türkischen Arbeitgeberverbands TISK arbeiten mindestens 300.000 Syrer in der Türkei, nur zwischen 6000 und 7000 von ihnen tun dies legal. Mit dem erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt würde die Schwarzarbeit eingedämmt werden, Syrer könnten sich rascher selbstständig machen und so weitere Arbeitsplätze schaffen. "Unter den Flüchtlingen gibt es so viele qualifizierte Menschen. Sollen wir ihnen keine Staatsbürgerschaft geben und sie etwa nach Großbritannien oder Kanada ziehen lassen?", zitierten Medien Erdogan in der vergangenen Woche.

Mit dem Erwerb der türkischen Staatsbürgerschaft hätten die Syrer einen gesicherten Aufenthaltsstatus, mit dem sie sich eine gesicherte Existenz für sich und ihre Familien aufbauen könnten. Denn jahrelang wurden die Syrer lediglich als "Gäste" geduldet, momentan besucht nur die Hälfte der rund 700.000 syrischen Kinder im Land eine Schule. Die Türkei würde für die Flüchtlinge also als attraktiver Standort punkten.

Die Ankündigung Erdogans hatte teils harsche Kritik ausgelöst, unter anderem wurde gemutmaßt, der Präsident wolle durch die Einbürgerung hunderttausender Syrer auch hunderttausende neue Wähler für seine islamisch-konservative Partei AKP gewinnen. Die regierungstreue türkische Zeitung "Yeni Akit" jubelte bereits in der vergangenen Woche, der Staatspräsident wolle syrischen Flüchtlingen die türkische Staatsbürgerschaft geben, um bei einem Zusammenbruch des Nachbarlandes grenznahe syrische Städte der Türkei zuzuschlagen um dann die syrischen Flüchtlinge wieder dort anzusiedeln. Das, so die "Yeni Akit" wäre der große Plan , der nicht nur eine Reminiszenz an das Osmanische Reich von damals wäre, sondern auch die "logischen Grenzen" im Nahen Osten wieder herstellen würde.

(APA/Cigdem Akyol)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.