Die Wiedergeburt des japanischen Shogunats

Premier Shinzo Abe verpasste nur knapp eine Zweidrittelmehrheit im Oberhaus.
Premier Shinzo Abe verpasste nur knapp eine Zweidrittelmehrheit im Oberhaus.(c) REUTERS (TORU HANAI)
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Der Triumph bei den Oberhauswahlen beschert Japans Premier Abe eine nahezu absolute Machtfülle. Das bringt ihn seinem Ziel näher, die pazifistische Nachkriegsverfassung seines Landes umzuschreiben. Die Territorialkonflikte mit China könnten diese Entwicklung beschleunigen.

Tokio. Japans Premierminister, Shinzo Abe, und seine liberaldemokratisch geführte Regierung haben bei der Oberhauswahl am Sonntag einen triumphalen Erfolg eingefahren – und das eigentliche Ziel dennoch knapp verpasst: eine eigene Zweidrittelmehrheit. Das wird den nationalkonservativen Regierungschef aber nicht daran hindern, das fernöstliche Pazifikreich politisch grundlegend umzubauen. Mithilfe von Splitterparteien und unabhängigen Abgeordneten besitzt Abe nun eine fast unbegrenzte Machtfülle, rein rechnerisch sogar für das radikale Umschreiben der Nachkriegsverfassung.

Warum hat Abe eigentlich so triumphiert? In erster Linie, weil er Stabilität verkörpert. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben die Japaner 19 verschiedene Premierminister erlebt. Die wenigsten davon blieben länger als ein Jahr im Amt. Zuweilen schien eine Regierungsbildung wie eine Drehtür, durch die Premierminister kamen und gingen. Drei Parteien waren wechselweise an der Macht, das Land vorangebracht hat dieses demokratische Wechselspiel nicht.

Die Wirtschaftslage verschlechterte sich Jahr um Jahr, die Menschen litten unter Rezession und Niedrigzinsen. Nippons Töchter und Söhne sehnten sich zurück nach politischer Stabilität und dem ökonomischen Aufschwung der Nachkriegsjahre.

Dann kam 2012 Shinzo Abe wieder zurück an die Macht und versprach all das. Zwar war der Konservative aus einer alteingesessenen Politikerdynastie fünf Jahre zuvor aus eingestandener Überforderung schon einmal aus dem Amt geflohen. Aber auch in Japan ist der Wähler vergesslich, wenn es keine vernünftige Alternative zu geben scheint.

Selbst wenn bisher sichtbare Erfolge Mangelware waren, das Vertrauen in Abe schwankte kaum. Jetzt ist es sogar so stark gestiegen, dass der Regierungschef an der Oberhausurne eine bisher unerreichte Macht versammeln konnte.

Referendum nötig

Dieses Mandat bringt den Premier seinem politischen Hauptziel ein großes Stück näher. Abe und seine nationalen Liberaldemokraten wünschen sich sehnlichst, die von den amerikanischen Besatzern nach Kriegsende aufgezwungene Friedensverfassung prinzipiell zu ändern, sich – wie Abe wiederholt sagte – aus diesem Korsett zu befreien, das die Nation in ihrer weltpolitischen Rolle einschnürt.

Bisher wurde daran kein Buchstabe oder Komma geändert. Die Regierung hat den Text im vergangenen Jahr lediglich neu interpretiert; jetzt geht es um die inhaltliche Substanz.

Eine Verfassungsänderung benötigt zwingend eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Tokioter Reichstages. Im Unterhaus besitzt sie Abe bereits, im Oberhaus könnte er sie jetzt mit Kompromissen organisieren. Erst dann kann die Regierung ihren Beschluss durch ein nationales Referendum absegnen lassen.
Zwar gibt es auch noch Widerstand in den eigenen Reihen, vor allem der buddhistisch geprägte Koalitionspartner Komeito äußert Vorbehalte, aber Shinzo Abe wird nichts unversucht lassen, die Verfassungsreform noch in seiner aktuellen Amtszeit bis Herbst 2018 beim Volk durchzudrücken.

Extrabudget verkündet

Bisher wäre das ein riskantes Manöver mit nicht absehbaren Folgen, denn bei Umfragen haben sich noch nie mehr als 45 Prozent für eine Revision ausgesprochen. Die meisten Japaner finden, dass es sich mit ihrer pazifistischen Verfassung ganz gut leben lässt, man Konflikten oder gar Kriegen locker aus dem Weg gehen kann. Wäre da nicht China.

Wenn Peking die territorialen Querelen mit Japan weiter anheizt, könnte die Stimmung schnell kippen. Der Premier wird das zu nutzen wissen, vielleicht sogar fördern, zumindest aber nicht bremsen, um dann seine neue Machtfülle auszuspielen. Abe und seine Vertrauten wissen natürlich, dass es ohne soziale und ökonomische Zufriedenheit der Bevölkerung keine Mehrheit für verfassungspolitische Experimente geben kann. Noch am Wahlabend verkündete er ein Extrabudget von 90 Milliarden Euro.

Will sich Abe Zsutimmung erkaufen?

Geld soll vor allem in den Ausbau der Kinder- und Altenbetreuung fließen. Es liegt der Verdacht nahe, dass Abe Zustimmung schlicht erkaufen will. Dazu passt, dass er auch die beim Volk äußerst verhasste Mehrwertsteueranhebung auf Herbst 2019 verschiebt. Von strukturellen Reformen für mehr Wirtschaftswachstum, die unter anderen der Internationale Währungsfonds und die G7-Staaten von Japan fordern, sagte der Premier jedoch kein Wort.

Japans wirkliche Probleme werden so auf die lange Bank verschoben. Es ist stattdessen damit zu rechnen, dass Shinzo Abe seine Nation künftig so absolut führen wird, wie es im Mittelalter nur die allmächtigen Schogune konnten. Der Vergleich mit diesen Kriegsherren drängt sich auf. Sie führten ihre Fehden und Schlachten nach Gutdünken – und ohne Widerspruch zu dulden.

So gesehen könnte sich die Oberhauswahl vom Sonntag auch noch als wahrhaft historisch erweisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2016)

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