„Der IS setzt Hunger als Waffe ein“

(c) Clemens Fabry
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Für Ralf Südhoff, den Regionaldirektor der UN-Organisation World Food Programme (WFP), hat sich die Nahost-Lage auch dank Berlins Finanzhilfe verbessert.

Wien. Als das World Food Programme (WFP) im Vorjahr angesichts drastischer Budgetnot Alarm schlug, verhallten die Warnungen der UN-Organisation – und in Folge rollte die größte Flüchtlingswelle seit Ende des Zweiten Weltkriegs nach Europa. Trotz der aktuell akuten Lage in Aleppo habe sich die Situation in der Krisenzone im Nahen Osten für das WFP vergleichsweise stabilisiert, resümiert Ralf Südhoff, WFP-Direktor für Deutschland und Österreich, im „Presse“-Interview. Es gebe kein Anzeichen für eine neue, große Flüchtlingsbewegung.

Rund um die zweitgrößte syrische Stadt seien momentan 300.000 Menschen von einer Hungerkrise bedroht. In Aleppo wie in 17 anderen Städten sei wegen der Gefechte nur punktuelle Hilfe möglich. Die Syrien-Gespräche in Genf, Wien und München hätten immerhin Druck auf die Konfliktparteien aufgebaut und den Zugang für Hilfsorganisationen erleichtert. Südhoff appellierte an die Türkei, die Grenzen für syrische Flüchtlinge aus Aleppo zu öffnen. „Für uns ist es einfacher, auf unsere Infrastruktur in der Türkei zurückzugreifen.“

Inzwischen ist die UNO dazu übergegangen, Hilfslieferungen per Hubschrauber über den eingeschlossenen Städten abzuwerfen – ein riskantes und teures Manöver, immer in Gefahr, von den Kriegsparteien abgeschossen zu werden, wie Südhoff ausführt. Doch im Fall der vom sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierten Gebiete ist es die einzige Möglichkeit, Hilfsrationen zu liefern. „Das Gebiet ist für uns unzugänglich. Der IS setzt Hunger als Waffe ein. Die IS-Milizen stellen Bedingungen, die wir nicht akzeptieren können“, sagt der WFP-Direktor. „Sie fordern, dass wir die Hilfsmittel übergeben.“

Ein Rückzug der IS-Milizen, wie er sich abzeichnet, wäre für Südhoff auch in humanitärer Hinsicht ein großer Fortschritt. Die „Washington Post“ hat gerade berichtet, dass die IS-Führung ihr Fußvolk auf eine militärische Niederlage vorbereitet.

Im Libanon und in der Türkei habe sich die Situation für die Versorgung der Flüchtlinge dagegen signifikant verbessert – vor allem dank der Hilfe Deutschlands, das allein eine halbe Milliarde Euro an Soforthilfe zugesagt habe. Insgesamt erreicht das WFP in Syrien rund vier Millionen Menschen, im Grenzgebiet zwischen Jordanien und Syrien komme es aber weiterhin zu Engpässen. Dort seien 70.000 Menschen gestrandet.

Südsudan: Syrisches Schicksal?

„Die größte Herausforderung ist für uns momentan die Türkei. Es geht um die Versorgung der zwei Millionen Flüchtlinge, die nicht in Lagern leben, oft in Verschlägen und feuchten Löchern hausen. Im Rahmen des EU-Pakts laufen jetzt Verhandlungen darüber, wie wir Unterstützung bereitstellen können.“ Das Schwierigste sei, fünf Krisen parallel zu meistern: Syrien, Irak, Jemen, Südsudan und das südliche Afrika, das von einer Dürre infolge des El-Niño-Phänomens heimgesucht werde. „Der Südsudan darf nicht zu einem zweiten Syrien werden.“

ZUR PERSON

Ralf Südhoff, Direktor des World Food Programme (WFP) für Deutschland, Österreich, Liechtenstein und die deutschsprachige Schweiz– eines UN-Programms –, sieht im Augenblick keine neue Flüchtlingswelle aus Syrien. [ Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2016)

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