Kurz: "Kein Freibrief für Erdoğan"

Sebastian Kurz
Sebastian KurzDie Presse (Clemens Fabry)
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Außenminister Kurz warnt vor Willkür nach Putschversuch.

Kam der Putsch in der Türkei für Sie überraschend?

Sebastian Kurz: Aufgrund des teilweise sehr autoritären Führungsstils des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gibt es Widerstände nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Türkei. Mit einem so organisierten Militärputschversuch war aber nicht zu rechnen. Ich möchte klar festhalten: Ein Militärputsch, bei dem Menschen zu Tode kommen, ist nicht zu rechtfertigen. Es sind jetzt alle Kräfte in der Türkei gefordert, besonnen zu agieren, Menschenleben zu schützen und Rechtsstaat und Demokratie zu achten. Für Präsident Erdoğan ist dieser Militärputsch kein Freibrief dafür, um nicht rechtsstaatlich oder willkürlich zu agieren. Dass nicht nur Regierung, sondern alle Oppositionsparteien den Putsch verurteilt haben, sollte für alle ein Anlass sein, in die Demokratie und eine rechtsstaatliche Ordnung zu vertrauen. Wir brauchen gerade in der Türkei eine Regierung des Rechts.

Eine Forderung der EU für die Erteilung der Visafreiheit für Türken ist, dass Ankara die Antiterrorgesetze entschärft. Wie wahrscheinlich ist das nach dem Putschversuch?

Der Kampf gegen den Terror ist zu hundert Prozent zu unterstützen. Genauso wichtig ist aber, Demokratie, Meinungsfreiheit und Medienvielfalt zu schützen. Wir müssen immer klar reagieren, wenn Menschenrechte in Gefahr sind. Wegzusehen, wenn es Fehlentwicklungen gibt, kann nie zum Vorteil Europas sein.

Wie sehen die weiteren Schritte der EU aus?

Wir müssen die Geschehnisse in der Türkei und die Reaktionen des türkischen Präsidenten und der Regierung abwarten. Am Montag wird dazu eine Sitzung der EU-Außenminister stattfinden. Dann wird es schon weit mehr Klarheit geben als noch Stunden nach dem Putschversuch.

Welche Informationen haben Sie derzeit über die Lage in der Türkei?

Nach Angaben der türkischen Regierung ist der Putschversuch vereitelt worden. Laut Informationen unserer Botschaft vom Samstag kam es aber zunächst nach wie vor zu Gefechten in Ankara und Istanbul. Vorerst gab es keine Indizien dafür, dass Österreicher getötet oder verwundet worden sind. Wir werden aber Krisenunterstützungsteams entsenden und wir haben den Bereitschaftsdienst im Außenministerium aufgestockt, um die bis zu 10.000 Österreicher in der Türkei bestmöglich zu unterstützen. Alle Österreicher, die derzeit in der Türkei sind, rufe ich dazu auf, ihre Hotels, Häuser oder sicheren Orte nicht zu verlassen, bis die Situation entschärft ist und Kontakt mit dem österreichischen Außenministerium zu halten.

Rechnen Sie damit, dass nun auch aus der Türkei eine größere Zahl von Menschen flüchten könnte?

Wir haben derzeit keine Indizien dafür. Wir haben auch keine Indizien dafür, dass der Putschversuch von breiten Teilen der Bevölkerung getragen worden ist. Laut unseren Informationen ist es ein Putschversuch von Teilen des Militärs gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2016)

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