Was die Türkei und Ägypten gemeinsam haben

Protesters, who are against Egyptian President Mohamed Mursi, react in Tahrir Square in Cairo
Protesters, who are against Egyptian President Mohamed Mursi, react in Tahrir Square in CairoREUTERS
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Sowohl die Türkei als auch Ägypten sind gespaltene Gesellschaften. In Kairo glückte der Umsturz durch das Militär aber, weil es Menschen des zivilen nationalistischen Lagers auf die Straße bringen konnte.

Die Türkei und Ägypten haben eine Gemeinsamkeit: In beiden Ländern gab es einen Militärputsch gegen einen gewählten islamistischen Präsidenten. Während der Staatsstreich gegen Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei gescheitert ist, war in Ägypten der Coup d'Etat unter Führung des damaligen Militärchefs und heutigen Präsidenten, Abdel Fatah al-Sisi, im Juli 2013 erfolgreich. Dort setzte das Militär den Muslimbruder Mohammed Mursi als Präsidenten ab und steckte ihn und die Seinen ins Gefängnis.

Beide Länder haben auch eine weitere wichtige Gemeinsamkeit: Beide sind zutiefst polarisierte Gesellschaften, in denen die Rolle von Religion in Politik und Staat nicht ausverhandelt ist. Beide sind in zwei Lager gespalten, einem islamistischen mit der AKP und den Muslimbrüdern auf der einen, sowie einem vom Militärapparat unterstützten nationalen Lager. In der Türkei sehen sich die Militärs als die Erben der säkularen kemalistischen Tradition. In Ägypten hält die Armee die antikolonialistische nasseristische Tradition hoch, die sich ebenfalls, wenngleich schwächer, eine eher säkulare Ideologie auf die Fahnen geschrieben hat.

Doch es gibt auch wichtige Unterschiede: In Ägypten ist der Coup d'Etat gelungen, weil das ägyptische Militär es geschafft hat, das zivile nationalistische Lager auf der Straße zu mobilisieren, das das Militär als Retter vor den Muslimbrüdern sah. In der Türkei ist der Putsch gescheitert, weil er keine Unterstützung im zivilen säkularen Lager gefunden hat. Das liegt sicherlich auch an der schlechten Erfahrung, die das gesamte politische Spektrum der Türkei mit vier Staatsstreichen gemacht hat.

Repression ist Auslaufmodell

Eigentlich wäre es jetzt die historische Chance für Erdoğan, eine Aussöhnung mit den anderen Parteien zu finden. Nach dem Motto: Ihr seid alle gegen den Putsch auf die Straße gegangen, lasst uns gemeinsam überlegen, wie es mit der Türkei weitergeht. Stattdessen scheint er sich weiter politisch einzugraben und nutzt die Gunst der Stunde, um staatliche Institutionen wie Armee und Justiz vom kemalistisch-säkularen Lager zu säubern.

Erdoğan und al-Sisi können die Spaltung ihrer Gesellschaft nicht überwinden, sondern nur verschärfen. In ihrem autokratischen Stil versuchen sie, die jeweiligen politischen Gegner auszuschalten. Sowohl in der Türkei als auch in Ägypten ist eine Seite der Gesellschaft bemüht, mit den Symbolfiguren Erdoğan und al-Sisi in diesem Konflikt zu triumphieren, während dieser Kampf in Wirklichkeit nicht gewinnbar ist. Repression funktioniert eine Weile, das beweisen sowohl das türkische als auch das ägyptische Beispiel. Dennoch sind beide Modelle nicht nachhaltig. Am Ende ist jede Repression ein Auslaufmodell, wenn die darunterliegenden Konflikte nicht politisch gelöst werden.

Sowohl in der Türkei als auch in Ägypten kann der einzig nachhaltige Weg zum Erfolg nur der Versuch sein, in den polarisierten Gesellschaften einen Ausgleich zu finden. Die wichtigste Grundlage dafür: Kein Militärputsch, sondern nur die Wahlurnen können die Stärke der jeweiligen Lager bestimmen. Wahlen allein werden die Polarisierung aber nicht überwinden. Denn in der gegenwärtigen Situation werden die jeweiligen islamistischen und nationalistisch-säkularen Lager derzeit keine alles entscheidenden Wahlsiege davontragen, sondern einfach nur die Spaltung der Gesellschaften manifestieren. Wer immer Wahlen gewinnt, muss das andere Lager mit an Bord bringen.

Suche nach gemeinsamem Ziel

Tunesien ist nicht zufällig das bisher einzig halbwegs vorzeigbare Ergebnis des arabischen Aufstands gegen die alte Herrschaft. Dort versucht man in einer Regierung der nationalen Einheit, diesen mühevollen Ausgleich zwischen konservativen Islamisten und, nennen wir sie mangels eines besseren Begriffes, „säkularen Liberalen“ zu finden.

Dabei muss es zunächst darum gehen, die kleinen gemeinsamen Nenner der beiden Lager zu finden, wie beispielsweise den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit oder gegen Terrorismus. Hätte man dort in beiden Lagern eine Vertrauensbasis für ein gemeinsames Vorankommen aufgebaut, könnten vor allem in den Parlamenten gesellschaftliche Kompromisse auch zur Rolle der Religion in der Politik ausgehandelt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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