Erdoğan will die Armee umbauen

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Der türkische Präsident warnt vor erneutem Putschversuch. Die Regierung hat im Zuge des Ausnahmezustands die Ausreisebestimmungen für türkische Staatsbürger weiter verschärft.

Ankara/Wien. Nach dem gescheiterten Putschversuch gegen seine Regierung will der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, die Streitkräfte des Landes umbauen. „In einer sehr kurzen Zeit wird eine neue Struktur entstehen“, kündigte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters an. Mit der Reform der Armee werde dieser auch „frisches Blut“ zugeführt, sagte Erdoğan. Einzelheiten dazu wollte er vorerst nicht bekannt geben. Die Armeereform liegt in den Händen des Höchsten Militärrats, dem der Präsident vorsitzt. Zudem warnte Erdoğan vor einem möglichen neuen Putschversuch.

Vor einer Woche wollte offenbar eine Gruppe hoher Offiziere den Präsidenten und seine Regierungspartei, AKP, von der Macht verdrängen. Nach einem Aufruf Erdoğans gingen seine Anhänger auf die Straße und stellten sich gemeinsam mit der Polizei den Soldaten entgegen.

Die Regierung in Ankara wirft dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen und seinen Anhängern vor, hinter dem Umsturzversuch zu stecken. Bis 2013 waren Erdoğan und Gülen verbündet. Danach kam es zwischen beiden zum offenen Machtkampf.

„Sie sind Verräter“

Die Gülen-Bewegung sei eine „terroristische Gruppierung“, wiederholte nun Erdoğan im Reuters-Interview. „Sie sind Verräter, das ist es, was sie getan haben. Sie haben dieses Land betrogen.“

Unterdessen hat die türkische Regierung im Rahmen des nun verhängten Ausnahmezustands die Ausreisekontrollen für türkische Staatsbürger weiter verschärft. Bei der Passkontrolle an den internationalen Flughäfen des Landes müssen ausreisende Staatsbürger nun einen Nachweis ihrer Tätigkeit erbringen, hieß es am Freitag aus Regierungskreisen in Ankara. Man wolle damit die Flucht von Menschen mit Verbindungen zu dem Putschversuch verhindern. Staatsbedienstete müssen eine Bescheinigung ihrer Behörde vorlegen, in der ausdrücklich erwähnt wird, dass ihrer Ausreise nichts im Weg steht. Das gilt auch für ihre Ehepartner und Kinder. Andere Beschäftigte müssen nachweisen, im Privatsektor tätig zu sein.

Türkische Medien berichteten, von Studenten könne bei der Ausreise eine Studienbescheinigung verlangt werden. Pensionisten und Arbeitslose benötigten einen Nachweis der Sozialversicherung. Aus deren Nummer ist erkennbar, ob die Person im Staatsdienst tätig ist oder nicht.

Von der Ausreisesperre sind auch türkische Wissenschaftler betroffen. Die Universität Wien übte daran am Freitag Kritik: Sie lehne solche Maßnahmen „schärfstens ab“, das erinnere „an die frühere DDR“. Die Türkei benötige den offenen Austausch in Wissenschaft und Forschung „genauso wie wir und schadet mit diesen Maßnahmen auch ihren eigenen Interessen“, so der Rektor der Uni Wien, Heinz Engl, in einer Aussendung.

Uni Wien zeigt sich besorgt

Wie der „Presse“ bestätigt wurde, versucht die Uni Wien auch abzuklären, welche ihrer Wissenschaftler sich zurzeit in der Türkei aufhalten. Die einzelnen Fakultäten haben E-Mails an ihre Mitarbeiter geschickt und sie um Informationen über einen etwaigen Aufenthalt in der Türkei gebeten. „Wir möchten abklären, welche unserer Wissenschaftler sich gerade in der Türkei aufhalten, wo sie sind und ob sie Hilfe brauchen“, heißt es vonseiten der größten Hochschule des Landes. Die Universität Wien sei diesbezüglich bereits mit dem Außenministerium in Kontakt.

Noch ist auch nicht klar, was die Maßnahmen der türkischen Regierung für die an österreichischen Universitäten tätigen Wissenschaftler mit türkischer Staatsbürgerschaft bedeuten. 22 türkische Wissenschaftler lehren laut Uni Wien gerade an der Hochschule. Inwieweit diese zur Rückkehr in die Türkei aufgefordert wurden, wisse man noch nicht.

Österreichweit gibt es laut Daten des Wissenschaftsministeriums 81 Forscherinnen und Forscher mit türkischer Staatsbürgerschaft. Der Großteil davon sind über Drittmittel angestellte Projektmitarbeiter und Universitätsassistenten. Allerdings umfasst diese Zahl auch all jene, die hierzulande geboren und aufgewachsen sind, jedoch die türkische Staatsbürgerschaft besitzen. (Reuters/APA/j.n./red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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