Orthodoxer Marsch entzweit Ukraine

Ikonenbilder am Stand der Schwestern vom Kloster der Heiligen Elisabeth aus Minsk am Donnerstag 25
Ikonenbilder am Stand der Schwestern vom Kloster der Heiligen Elisabeth aus Minsk am Donnerstag 25imago/epd
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In einer landesweiten Prozession demonstrieren Gläubige für Frieden. Doch die Aktion ist umstritten, da politisches Kalkül der Kreml-nahen orthodoxen Kirchenführung vermutet wird.

Wien/Kiew. Sie halten Ikonen hoch, beten und marschieren täglich um die 25 Kilometer. Gläubige sind derzeit auf einem Kreuzweg für Frieden, Liebe und Gebet aus dem Osten und Westen der Ukraine in Richtung Kiew unterwegs. Die ukrainische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats hat angesichts des fortdauernden Krieges im Donbass zu dem Marsch aufgerufen. „Es ist Zeit, christliches Gewissen zu zeigen“, sagte das Kirchenoberhaupt, Metropolit Onufrij. Die orthodoxe Kirche sei eine Kraft, „die alle Menschen unseres Landes vereint“. Doch in der Ukraine zweifeln viele an den hehren Absichten der dem russischen Patriarchen Kyrill unterstehenden Kirche. Hinter der religiösen Versammlung wird politisches Kalkül vermutet.

Im Osten startete die Prozession am 3. Juli im Himmelfahrtskloster in Swjatohirsk. Am 9. Juli setzten sich Pilger vom Himmelfahrtskloster von Potschajiw im westlichen Gebiet Ternopil in Bewegung. Am 27. Juli sollen beide Züge im Kiewer Höhlenkloster aufeinandertreffen. Tags darauf gedenkt man der Taufe des Großfürsten Wladimir, die die Christianisierung der mittelalterlichen Kiewer Rus einleitete. Maria, eine Pilgerin aus dem Westteil des Landes, erklärte gegenüber dem TV-Kanal Inter, sie nehme für die „vereinte Ukraine und den orthodoxen Glauben“ teil, „gegen Krieg und Blutvergießen“. Die Wanderer werden in Klöstern und Kirchen auf dem Weg versorgt. Freiwillige bieten den Erschöpften am Straßenrand Trinkwasser und Lebensmittel an.

Die ukrainische Journalistin Anastasia Magazowa, die für die Deutsche Welle tätig ist, begleitete den Marsch aus Westen auf einer Tagesetappe in der Stadt Schitomir. Sie schätzt die Teilnehmerzahl auf rund 1500. „In den großen Städten werden es mehr, weil sich dann Pilger von vor Ort kurzfristig anschließen“, erklärt sie im Gespräch mit der „Presse“. In deutschsprachigen sozialen Medien, wo propagandistische Berichte über eine angebliche Friedensbewegung die Runde machen, werden überzogene Teilnehmerzahlen genannt. Angeblich würden bei dem Kiewer Treffen eine Million Gläubige erwartet. Magazowa geht dagegen in Kiew von einer relativ überschaubaren Zahl von 15.000 Gläubigen aus.

Die Journalistin berichtet, dass die Teilnehmer vorwiegend weiblich und älter sind. Auch einige jüngere Frauen mit Kindern seien unter den Mitmarschierenden. „Die Stimmung ist optimistisch“, sagt Magazowa. Fragen zur Politik würden die Gläubigen ausweichen.

Angst vor Anschlägen in Kiew

Die ukrainischen Sicherheitsbehörden sehen die auf Kiew zumarschierenden Pilger mit einer gewissen Beunruhigung. Derzeit findet der Marsch noch unter geringer Polizeibegleitung statt. In Kiew werden die Sicherheitsvorkehrung verstärkt: Man diskutiert Personenkontrollen und die Aufstellung von Metalldetektoren. Nach dem Mord an dem Journalisten Pawel Scheremet am Mittwoch sind die Behörden in Alarmbereitschaft. Ein Anschlag auf friedliche Pilger gilt als Horrorszenario. Der Chef des Geheimdienstes SBU, Wassilij Grizak, sprach von einem „Risiko der Destabilisierung“. In der Bevölkerung ist der Marsch umstritten. Die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats vereint nicht alle Gläubigen. Ein Teil der Bürger nimmt der Kreml-nahen Kirche die Friedensrolle nicht ab. In der Ukraine ist die orthodoxe Kirche zudem dreigeteilt. Neben der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, die die größte und einzig kanonisch anerkannte orthodoxe Kirche in der Ukraine ist, gibt es die orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats sowie die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche. Laut ukrainischem Gesetz sind alle drei legal.

Mit der dem Moskauer Patriarchat unterstellten Teil umgaben sich früher gern die Vertreter der Partei der Regionen, während die anderen beiden Kirchen als prononcierter pro-ukrainisch gelten. Durch die enge Bande zwischen Patriarch Kyrill und Kreml-Chef Wladimir Putin ist der Ruf der Moskauer Glaubensinstitution befleckt. Sie gilt vielmehr als politischer Player und Befürworter der Ideologie der „Russischen Welt“, die die Dreifaltigkeit von russischem Nationalismus, slawischer Bruderschaft und Orthodoxie propagiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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