Clinton holt sich einen Ex-Missionar, der Spanisch spricht

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FILES-US-VOTE-DEMOCRATS-CLINTONAPA/AFP/SAUL LOEB
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Bei der Wahl ihres Vizes geht Hillary Clinton auf Nummer sicher: Sie kürt Senator Tim Kaine.

Von Barack Obama bis Bill Clinton: Prominente Demokraten heben zustimmend den Daumen, wenn die Rede auf Tim Kaine kommt, den Senator, früheren Gouverneur von Virginia und Ex-Bürgermeister von Richmond. In einer Talkshow geriet auch Hillary Clinton geradezu ins Schwärmen über den 58-Jährigen, den ehemaligen Vorsitzenden der Demokraten, einen der einflussreichen Drahtzieher der Partei, den Sohn eines Eisenwarenhändlers aus Missouri und Bürgerrechtsanwalt: „Er hat noch nie eine Wahl verloren. Er war ein großartiger Bürgermeister und Gouverneur, und er ist einer der respektabelsten Senatoren, die ich kenne.“ Dass sich Kaine selbst als langweilig beschreibt, stört Hillary Clinton nicht im Geringsten. „Gerade das liebe ich so an ihm“, sagte sie und lachte dabei auf.

Am Freitag wollte die demokratische Präsidentschaftskandidatin während einer Wahlkampftour in Florida per E-Mail das Geheimnis um ihre Nummer zwei, um ihren Vizepräsidentschaftskandidaten, lüften – und alle Vorzeichen deuteten auf Tim Kaine hin. den Favoriten unter einem Dutzend Aspiranten, die Clinton in die engere Wahl genommen hatte. Schon heute sollte er bei Auftritten im „Sunshine State“ an ihrer Seite sein, und so quasi den Auftakt zum Parteikonvent am Montag in Philadelphia einläuten. In Florida, der Heimat einer großen Latino-Minderheit aus Kuba und Mittelamerika, konnte Kaine überdies einen Vorteil ausspielen: In einem Sabbatical, einer einjährigen Studienpause, hat er Jesuiten bei der Mission in Honduras unterstützt, sich Spanisch angeeignet und das Engagement für illegale hispanische Einwanderer entwickelt.

Perfekte Ergänzung

Der Pragmatiker Tim Kaine, moderat, bestens vernetzt und mit einer Expertise in der Sicherheitspolitik, erfüllt alle Voraussetzungen für einen „Veep“: Er wäre auch für weiße Männer und Unabhängige attraktiv und würde Clinton perfekt ergänzen. Als Senator aus Virginia, einem der strategisch wichtigen Swing States, würde er ihr seinen Heimat-Bundesstaat auf dem Silbertablett servieren. Barack Obama hat 2008 das lange republikanisch dominierte Virginia von Rot auf Blau umgefärbt – erstmals seit 1964 für Lyndon B. Johnson votierte Virginia wieder für einen Demokraten. Schon Obama zog damals Kaine – einen Absolventen der Harvard Law School wie er selbst – als seinen „Running Mate“, als seinen Vize, ins Kalkül.

Zwei Kandidaten hatten sich für die Endrunde um den Clinton-Vize herauskristallisiert, auf Herz und Nieren geprüft von John Podesta, einem Clinton-Intimus, der 2008 für Obama bereits die Regierungsbildung organisiert hat. Tim oder Tom, so lautete die Frage in „Clinton-Land“, dem Clinton-Lager. Neben Kaine stand noch Tom Vilsack zur Debatte, ein langjähriger Freund der Clintons mit einer bunten Vita: Der Agrarminister und Ex-Gouverneur aus Iowa wuchs in Pittsburgh ein Jahr in einem Waisenhaus auf – was gerade beim Parteikonvent in Pennsylvania Ovationen hervorgerufen hätte. Später nahmen ihn Adoptiveltern auf, seine Pflegemutter gab sich dem Alkohol hin. Das Team Clinton-Vilsack hätte in Iowa und überdies wohl auch im gesamten Mittleren Westen punkten können.

Shootingstars im Wartestand

Nachdem Donald Trump Mike Pence, den erzkonservativen Gouverneur von Indiana, zu seinem Vize gekürt hatte, ging Hillary Clinton auf Nummer sicher. Der linksliberale Flügel der Demokraten – insbesondere die „Sandinistas“, die Bernie-Sanders-Wähler – hätte eher Elizabeth Warren favorisiert, die progressive Senatorin aus Massachusetts, Harvard-Professorin und prononcierte Kritikerin der Wall Street. Zwei Frauen auf dem Präsidentschaftsticket – dies hätte ein starkes Signal an die zahlenmäßig größte Wählergruppe in den USA ausgesendet.

Neben Sherrod Brown, dem linksliberalen Senator aus Ohio, und John Hickenlooper, den Gouverneur aus Colorado, zog Clinton zuletzt auch den Ex-Nato-General James Stavridis in Erwägung. Auch Proponenten von Minderheiten wie Cory Booker, der afroamerikanische Senator von New Jersey, Wohnbauminister Julian Castro aus Texas und Arbeitsminister Tom Perez kamen in die engere Wahl. Booker und Castro gelten als Shootingstars der Demokraten, als „Obamas“ der Zukunft, deren große Zeit noch anbrechen wird. Die Erfahrung gab schließlich den Ausschlag für Tim Kaine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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