Vom Nein zum Freihandel bis zum Gratisstudium: Bernie Sanders hat die Demokratische Partei stark nach links gerückt. Nun droht ihm seine Bewegung zu entgleiten.
Philadelphia. Die Buhrufe und Unflätigkeiten der Bernie-Sanders-Zeloten in der Halle und auf den Straßen rundherum schienen nicht enden zu wollen, als die scharfzüngige Komödiantin Sarah Silverman, selbst eine Unterstützerin des linken Senators aus Vermont, einen Rüffel servierte: „Darf ich all den Bernie-or-Bust-Leuten etwas sagen? Ihr seid lächerlich.“
Bernie or Bust, also die ultimative Alternative zwischen der Nominierung von Senator Sanders zum Präsidentenkandidaten oder der verweigerten Unterstützung für die Demokratische Partei: Mit dieser Einstellung richten sich viele Sanders-Delegierte auf unbeugsamen Widerstand gegen die Kandidatur Hillary Clintons ein. Die frühere First Lady, New Yorker Senatorin und Außenministerin gilt ihnen als korrupt, lügenhaft und bloß den Interessen jener Konzernwelt verpflichtet, die sie als Übel aller sozialen Missstände und der starken wirtschaftlichen Ungleichheit im Land sehen.
Und es scheint, als würde dem langjährigen parteiunabhängigen Hinterbänkler im Kongress die „politische Revolution“, welche er ein Jahr lang gepredigt hat, entgleiten. Als Sanders am Montag seinen Anhängern gegenüber einmal mehr erklärte, weshalb es zur Erreichung ihrer sozial- und wirtschaftspolitischen Ziele nötig sei, Clinton zu unterstützen, wurde er lautstark ausgebuht.
Zwischen Sanders und Trump
In ihrem Ressentiment gegen Clinton schlägt dieser harte Kern der Sanders-Anhänger paradoxerweise in dieselbe Kerbe, die die Anhänger von Donald Trump, des republikanischen Widersachers von Clinton, mit eskalierender Rhetorik schnitzen. „Sperrt sie ein!“, brüllten Trumps Anhänger vorige Woche in Cleveland Tag um Tag jedes Mal, wenn Clintons Name genannt wurde. „Sperrt sie ein!“, erschallte es am Montag auch außerhalb der Veranstaltungshalle in Philadelphia am heißesten Tag, den die US-Ostküste seit vier Sommern erlebt hatte. Bei einem Stand der rechtsradikalen Verschwörungsplattform Inforwars.com, den die Überschrift „Hillary ins Gefängnis“ zierte, gab es Applaus von Sanders-Fans.
Links von Bill Clinton
„Demokratie ist manchmal ein bisschen unordentlich, besonders für junge Leute, die sich die Seele aus dem Leib geschrien haben“, versuchte Sanders am Dienstag bei einer Veranstaltung von Bloomberg News die Wogen zu glätten. Bisher ist ihm das nicht gelungen. „Ich bitte euch um den persönlichen Gefallen, in der Halle keine Art von Protest zu üben“, hatte er seine Anhänger am Montag in einer SMS vergeblich ersucht.
Der Bestemm dieser harten Sanders-Anhänger ist angesichts von Sanders sachpolitischem Erfolg erstaunlich. Er schaffte es, die Partei in ihrem Wahlmanifest so weit nach links zu rücken, wie sie das seit den 1970er-Jahren nicht mehr war. Es lehnt das transatlantische Handelsabkommen TPP – ein wichtiges Unterfangen von Präsident Barack Obama – ab, im Gegenzug fordert es dafür die Einführung eines gebührenfreien Collegestudiums und die Abschaffung der Todesstrafe. Altpräsident Bill Clinton, der am Dienstagabend die Hauptrede hielt, dürfte seine Partei kaum wiedererkennen.
Den versöhnlichen Höhepunkt des Abends setzte zum Auftakt jedenfalls Michelle Obama. „Ich wache heute jeden Morgen in einem Haus auf, das von Sklaven gebaut worden ist“, sagte die First Lady. „Und ich schaue meinen Töchtern zu, zwei schönen, intelligenten schwarzen jungen Frauen, die mit ihren Hunden auf dem Rasen des Weißen Hauses spielen.“ Sie sprach sich mit Nachdruck für die designierte Kandidatin ihrer Partei aus: „Wegen Hillary Clinton sehen es meine Töchter jetzt für selbstverständlich an, dass eine Frau die Präsidentin der Vereinigten Staaten sein kann.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2016)