Wende in türkischer Syrien-Strategie

SYRIA-CONFLICT-CUBA-INTERVIEW
SYRIA-CONFLICT-CUBA-INTERVIEWAPA/AFP/SANA/-
  • Drucken

Ein türkischer Unterhändler besuchte mehrmals Damaskus, um eine Wiederannäherung an Syriens Regime auszuloten. Regierung in Ankara schwächt Forderung nach Assads Absetzung ab.

Washington/Ankara. Ismail Hakkı Pekin ist es gewohnt, geräuschlos und im Hintergrund zu arbeiten. Der pensionierte Generalleutnant und ehemalige Chef der Geheimdienstabteilung beim türkischen Generalstab in Ankara hat in den vergangenen Monaten mehrmals diskret die syrische Hauptstadt Damaskus besucht. Bei den Gesprächen lotete Pekin nach eigenen Angaben die Möglichkeit einer Wiederannäherung der verfeindeten Regierungen beider Länder aus. Pekins Reisen sind nicht das einzige Zeichen für einen Kurswechsel der türkischen Syrien-Politik.

Assad muss weg – unter diesem Motto betrachtet Ankara den Konflikt beim südlichen Nachbarn, wiewohl die Beziehungen zwischen dem damaligen türkischen Regierungschef, Recep Tayyip Erdoğan, und dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad einst sehr eng gewesen sind. Die beiden verband sogar eine Freundschaft, die jedoch mit Beginn des syrischen Bürgerkriegs abrupt endete.

Erdoğan drängte seither auf einen Sturz Assads. Er wollte eine türkeifreundliche Regierung in Damaskus installieren und unterstützte sunnitische Rebellengruppen. Der syrischen Exilopposition gab Erdoğan in der Türkei die Möglichkeit zum Aufbau einer politischen Infrastruktur.

Kurdenfrage zentral für Türkei

Doch nun deutet sich eine Wende an. Die Weigerung des Westens, mehr militärischen Druck auf Assad auszuüben, der Kriegseintritt Russlands auf der Seite von Assad im vergangenen Jahr sowie die Autonomiebestrebungen der syrischen Kurden, die aus Sicht Ankaras zur Entstehung eines Kurdenstaates an der türkischen Grenze führen könnten, haben Erdoğan ins Grübeln gebracht. Bei seinem Besuch in Russland in der vergangenen Woche vereinbarte er mit seinem Gastgeber, Wladimir Putin, eine engere Zusammenarbeit auch beim Thema Syrien, doch ein Abrücken Putins von seinem Schützling Assad ist nicht erkennbar.

Deshalb wird jetzt neu nachgedacht in Ankara. Erdoğans Ministerpräsident, Binali Yıldırım, betonte vor einigen Tagen, seine Regierung habe zwei Vorbedingungen für eine Lösung in Syrien: Erstens dürfe die territoriale Integrität der Türkei nicht infrage gestellt werden, und zweitens müsse Syrien als Staat erhalten werden, sagte der Premier mit Blick auf die kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens. Die bisherige türkische Kernforderung nach einer Entmachtung von Assad und dessen alawitischen Machtelite kommt bei Yıldırım nur noch in abgeschwächter Form vor: Im Rahmen einer Lösung für Syrien werde die Herrschaft einer einzigen gesellschaftlichen Gruppe über alle anderen ein Ende haben, was „auf lange Sicht“ das Ende für Assad bedeute.

Die Abkehr von der bisherigen türkischen Linie erfolgt zu einem Zeitpunkt, da Russland und der Iran ihre Kooperation zur Unterstützung Assads verstärken. So starten russische Bomber ihre Angriffsflüge in Syrien seit einigen Tagen auf einer iranischen Luftwaffenbasis. Yıldırım sagte, die Türkei und der Iran seien als Nachbarn Syriens dafür prädestiniert, bei der Lösung des Konfliktes mitzuarbeiten. Den Neuanfang in der türkischen Syrien-Politik verglich der Premier mit Ankaras Aussöhnung mit Russland und Israel. Laut unbestätigten Medienberichten will Erdoğan bald nach Teheran reisen, um mit Irans Führung über eine Übergangslösung für Syrien – inklusive eines vorläufigen Verbleibs Assads im Präsidentenamt – zu beraten.

„Bald bedeutende Entwicklung“

Da passen die Damaskus-Reisen von Ex-Geheimdienstler Pekin ins Bild. Der Ex-Offizier, inzwischen Vizechef der kleinen nationalistischen Vaterlandspartei, ist zwar kein Parteifreund Yıldırıms und Erdoğans. Dennoch sei er mit Wissen Ankaras nach Syrien geflogen, sagte Pekin der Internetplattform Al Monitor. Im Jänner, April und Mai reiste er laut eigener Darstellung nach Damaskus; derzeit bereite er einen neuen Besuch vor. Der Generalstab und das Außenamt in Ankara wurden vor und nach jeder Reise unterrichtet. Schon bei der Beendigung des türkisch-russischen Streits über den Flugzeugabschuss soll Pekin eine Rolle gespielt haben.

Von offizieller türkischer Seite liegt keine Stellungnahme zu Pekins Mission vor. Auch betonte der Ex-Generalleutnant, bei seinen bisherigen Besuchen habe die Forderung Ankaras nach Assads Entmachtung noch Gültigkeit gehabt. Ob er bei seinem nun geplanten neuen Besuch andere Anweisungen erhalten wird, ist nicht bekannt.

Premier Yıldırım bereitete die Türken in einem Interview bereits auf eine neue Ära der Syrien-Politik vor: „Es sollte sich keiner wundern, wenn es in den nächsten Monaten beim Thema Syrien bedeutende Entwicklungen geben sollte.“

In Syrien schlug die Luftwaffe ein neues Kapitel auf. Sie bombardierte erstmals kurdisch kontrollierte Gebiete in der Stadt Hasaka im Nordosten des Landes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.