In Deutschland bereitet man sich auf den worst case vor. Finanzieller Druck und Anreize sollen Griechenland und Drittstaaten bewegen, in die Bresche zu springen.
Offiziell will man in Brüssel, Berlin und anderen Hauptstädten der EU nichts von einem Scheitern des Flüchtlingsdeals mit der Türkei wissen. Doch hinter den Kulissen laufen bereits die Vorbereitungen dafür, sollte es doch dazu kommen. Denn das Verhältnis zwischen der EU und Ankara ist seit dem versuchten Militärputsch in der Türkei im Juli äußerst angespannt: Sollte Ankara die Todesstrafe wieder einführen, wären die Beitrittsgespräche Geschichte - und der im März geschlossene Deal ebenso. Ein weiterer Knackpunkt ist die der Türkei in Aussicht gestellte Visafreiheit. Kommt die nicht wie zunächst geplant im Oktober, würde Ankara das ganze Abkommen in Frage stellen.
Wie sich die deutsche Bundesregierung auf diesen worst case vorbereitet, darüber gibt ein internes Papier des Finanzministeriums Aufschluss, das dem "Spiegel" zugespielt wurde: Eine Schlüsselrolle weist Berlin darin der EU-Grenzschutzagentur Frontex zu: Diese müsse die EU-Außengrenzen zwischen der Türkei und Griechenland dann "verlässlich" schützen. Wie Frontex genau das schaffen soll, was die Agentur vor Abschluss des Abkommens mit der Türkei nicht leisten konnte, bleibt freilich schleierhaft.
Finanzielles Zuckerbrot, finanzielle Peitsche
Jene Flüchtlinge, die es trotzdem in die EU schaffen würden, oder die man aus humanitären Gründen nicht abweisen könne, müssten in grenznahen Auffanglagern gesammelt, registriert und nach Quoten auf die Mitgliedstaaten verteilt werden, zitiert der "Spiegel" weiter aus dem Papier.
Das Abkommen
Der im März zwischen der EU und Ankara geschlossene Deal sieht vor, dass die Türkei auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommende Flüchtlinge zurücknimmt. Im Gegenzug nimmt die EU besonders bedürftigte syrische Flüchtlinge aus der Türkei auf. Zudem stellte die Europäische Union Visafreiheit für türkische Bürger in Aussicht. Die Türkei hat bisher jedoch noch nicht alle dafür notwendigen Kritierien erfüllt.
Der neuralgische Punkt wäre Griechenland, dem man in Berlin offenbar die finanziellen Folterwerkzeuge zeigen will, sollte Athen - wie in der Vergangenheit - nur zögerlich agieren: Die "vollumfängliche Kooperation Griechenlands ist sicherzustellen, auch unter Anwendung finanziellen Drucks". Ein Satz, der geeignet ist, die ohnehin seit Jahren problematischen Beziehungen zwischen Athen und Berlin wieder zu belasten, zumal er ausgerechnet aus dem in Athen besonders unbeliebten deutschen Finanzministerium unter der Führung Wolfgang Schäubles kommt.
Und was könnte Deutschland, abseits der europäischen Ebene, direkt tun, sollte es zu einem Scheitern des Abkommens und damit zu einem erneuten starken Zustrom an Flüchtlingen in die EU kommen? Dann sei, bei einer Verlagerung der Migrationsrouten, auch eine Ausweitung der Kontrollen an den deutschen Grenzen zur Schweiz und zu Frankreich denkbar. Die Kooperationsbereitschaft von Drittstaaten, insbesondere in Sachen Grenzschutz und Rückführung, könne "finanziell befleißigt" werden, heißt es weiter. So wie auch schon die Türkei werden die betreffenden Staaten den Preis für ihre Zusammenarbeit wohl in die Höhe zu treiben wissen.
Österreich: Asyl-Beschränkungen ab Herbst geplant
Österreich plant, im September eine Asyl-Notverordnung in Begutachtung zu schicken, mit deren Hilfe die Obergrenze von 37.500 Asylverfahren in diesem Jahr eingehalten werden soll. Asylanträge könnten dann nur mehr an kontrollierten Grenzübergängen gestellt werden und würden nur noch dann zugelassen, wenn bestimmte Menschenrechte in Gefahr sind. >> mehr dazu
(hd/kron)