Flüchtlingslager auf Ägäis-Inseln platzen aus allen Nähten

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TOPSHOT-GREECE-EUROPE-MIGRANTAPA/AFP/ANGELOS TZORTZINIS
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Die Zahl der Bootsflüchtlinge in der Ostägäis steigt wieder, immer mehr Menschen sitzen auf den Inseln fest. Das Abkommen mit der Türkei funktioniert nicht. Syrer werden nicht mehr zurückgeschoben.

Athen. Ist das die Ruhe vor einem neuen Sturm in der Ostägäis? Während die griechische Regierung offiziell weiterhin an das Abkommen Türkei/EU vom 18. März zur Eindämmung der Flüchtlingsströme glaubt, wird die Lage auf den Insel Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos, die den Hauptstrom der Bootsflüchtlinge aufnehmen, die vom nahen türkischen Festland übersetzen, immer brisanter.

Der griechische Migrationsminister, Giannis Mouzalas, hatte zuletzt eindringlich auf die Probleme der Vereinbarung mit der Türkei hingewiesen, gleichzeitig aber festgestellt, dass man auf keinen Fall von einem Scheitern des Abkommens sprechen könne. Während 2015 in der zweiten Jahreshälfte täglich an die 5000 Menschen übergesetzt hätten, seien es in den vergangenen Monaten im Schnitt um die hundert. Auch seit dem Putschversuch in der Türkei Mitte Juli sei keineswegs ein dramatischer Anstieg der Flüchtlingszahlen festzustellen, erklärte Mouzalas. Er appellierte daher an die Bürgermeister der betroffenen Inseln, Ruhe zu bewahren.

Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Abkommen gerade auf den Inseln nicht funktioniert. Zwar ist vielen Migranten bewusst, dass die griechische Route in Richtung Mitteleuropa eine Sackgasse darstellt, weil nach dem 20. März 2016 kein Weiterkommen mehr möglich ist. Trotzdem staut es sich auf den Inseln. Denn die Syrer, die nach wie vor die große Mehrheit der Flüchtlinge stellen, wurden zuletzt nicht in die Türkei zurückgeschoben.

11.000 Migranten auf fünf Inseln

So kann schon ein kleiner Anstieg der Flüchtlingsströme die Infrastruktur auf den Inseln sprengen. Diesen Donnerstag kamen 261 Flüchtlinge an, das ist die höchste Zahl der vergangenen Monate. Damit befanden sich auf den fünf Inseln insgesamt um die 11.000 Migranten, Lagerinfrastruktur allerdings besteht nur für 7500. Besonders kritisch ist die Lage auf Lesbos – die Insel beherbergt zurzeit 4600 Flüchtlinge, 1100 mehr als maximal vorgesehen. Ursache für den Rückstau ist die Widersprüchlichkeit des Abkommens EU/Türkei selbst.

Einerseits wird im Vertragstext festgestellt, dass syrische Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschoben werden, andererseits aber wird auch klargestellt, dass in jedem Fall das EU-Recht, und mit ihm die Genfer Konvention, eingehalten wird. Und hier liegt der Haken: Die Berufungsinstanzen in den Asylverfahren von Syrern gaben bisher so gut wie allen Beschwerden gegen abschlägige Bescheide statt. Das bedeutet: Die Türkei ist kein sicheres Drittland, die Syrer werden in der Praxis nicht abgeschoben.

Eine andere Folge des Abkommens ist das sprunghafte Ansteigen der Asylanträge in Griechenland. Die Mehrheit der Flüchtlinge, aber auch der Wirtschaftsmigranten stellte Anträge, um eine Abschiebung zu verhindern. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2016 waren es bereits 22.000; und Zigtausende haben sich bereits für die Antragstellung registrieren lassen – insgesamt sitzen um die 58.000 Migranten in Griechenland fest. Die Bearbeitung allerdings ist immer noch katastrophal langsam: Allein im Juli stellten über 2600 Syrer Asylanträge, im gleichen Zeitraum wurden nur 64 Fälle erstinstanzlich abgeschlossen.

Rechtsradikales Netzwerk

Migrationsminister Mouzalas bestätigte nun, dass Syrer, die Anrecht auf Asyl haben, auf das Festland überstellt werden. Für entsprechende Lagerinfrastruktur soll gesorgt werden – damit die Lage auf den Inseln entschärft wird, müsste in diesem Fall das Tempo der Antragsbearbeitung aber radikal erhöht werden. Auch „Unruhestifter“ sollen auf das Festland verfrachtet werden.

Manchen Insulanern allerdings geht alles viel zu langsam. Wie schon in der Vergangenheit wurden auf Chios in den vergangenen Tagen Einrichtungen einer Hilfsorganisation Ziel von Sabotageakten Unbekannter.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass ein rechtsradikales Netzwerk um die neonazistische Partei Goldene Morgenröte auf der Insel aktiv ist. Nicht allen sind diese Aktivitäten unwillkommen. Sie erhöhen den Druck auf die Regierung, die Inseln zu entlasten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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