Jerusalem und Ankara sind wieder Freunde

(c) REUTERS (BAZ RATNER)
  • Drucken

Seit 2010 war Eiszeit zwischen Jerusalem und Ankara, weil israelische Soldaten ein türkisches Hilfsschiff für Gaza gestürmt hatten. Nun beendete das türkische Parlament den Streit endgültig, die Beziehungen sind normalisiert.

Ankara/Jerusalem. Nach sechs Jahren diplomatischer Eiszeit hat das türkische Parlament am Wochenende einen Vertrag gebilligt, der den Weg zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel endgültig öffnet. Damit steht dem Austausch von Botschaftern und der Fortsetzung politischer, wirtschaftlicher und militärischer Zusammenarbeit auch formell nichts mehr im Weg. Israels Regierung begrüßte die Ratifizierung des vor zwei Monaten geschlossenen Vertrags; diese hatte sich wegen des Putschversuches in der Türkei Mitte Juli verzögert. Israel hatte den Freundschaftsvertrag bereits gebilligt.

Zwischen den einst engen Bündnispartnern Türkei und Israel hat es 2010 gekracht, nachdem bei der Erstürmung eines türkischen Solidaritätsschiffs, das Hilfsgüter und „Aktivisten“ in den isolierten, von der Hamas kontrollierten Gazastreifen bringen sollte, zehn Türken durch israelische Spezialeinheiten getötet worden sind. Die Vereinbarung sieht nun unter anderem vor, dass Israel den Hinterbliebenen binnen 25 Tagen 20 Millionen Dollar Entschädigung zahlt. Die Türkei verzichtet auf rechtliche Schritte gegen die israelischen Soldaten. Die Türkei sagte nach israelischer Darstellung zu, Terroraktionen der Hamas von türkischem Boden aus zu verhindern. Dies schließe die Finanzierung von Terrorismus ein.

Israel blockiert seit zehn Jahren Gaza, von dem aus die islamistische Hamas oft Anschläge in Israel organisiert hat. Die auch von Ägypten gestützte Maßnahme wird vielerorts als Kollektivstrafe kritisiert. Eine privat organisierte Hilfsflotte hatte 2010 vergeblich versucht, die Seeblockade zu brechen, worauf israelische Soldaten das türkische Schiff Mavi Marmara enterten. Ankara war erbost; beide Länder beendeten ihre militärische Zusammenarbeit und zogen ihre Botschafter ab.

Entfremdung bis ins Kampfjetcockpit

Die Entfremdung ging bis in technische Details: So baute der türkische Konzern Aselsan ein elektronisches Freund-Feind-Erkennungssystem (IFF) für türkische Jagdbomber F-16 Fighting Falcon, das israelische Kampfflugzeuge mit ihren Freund/Feind-Signalgebern nicht mehr automatisch als Freund klassifiziert und dem Piloten so darstellt. Genau das taten bzw. tun die bisherigen Systeme in den türkischen F-16 vor allem deshalb, um in der komplexen Luftregion über Nahost leichter den Überblick zu behalten. Interessanterweise begingen drei am Bau des IFF beteiligte Experten unerwartet Suizid. Unter anderem soll der jetzige türkische Präsident und damalige Premier, Recep Tayyip Erdoğan, den Bau des türkischen IFF angeregt haben. In wie viele Jets es letztlich eingebaut wurde, ist indes unbekannt. Israel hält die Blockade Gazas derweil aufrecht. Allerdings wurden begrenzte Hilfstransporte über den israelischen Hafen von Ashdod in die Enklave ermöglicht, ein türkisches Hilfsschiff erreichte das Palästinensergebiet am Mittelmeer bereits.

US-Vizepräsident reist nach Ankara

Mit dem Abkommen, das auf die jüngste Entspannung zwischen der Türkei und Russland sowie dem Iran folgt, verschafft sich die Türkei mehr Bewegungsfreiheit, nachdem ihr Verhältnis zum Westen wegen des harten Vorgehens gegen kritische Medien und vermeintliche Regimegegner nach dem gescheiterten Militärputsch im Juli abgekühlt war. Das Verhältnis zu den USA ist schwer angeschlagen, weil Ankara dem dort im Exil lebenden Prediger und Erdoğan-Kritiker, Fethulla Gülen, vorwirft, den Putschversuch orchestriert zu haben. Auch aus diesem Grund wird US-Vizepräsident Joe Biden diese Woche in Ankara erwartet.

Von der neu entdeckten Freundschaft würden beide Seiten auch ökonomisch profitieren, meint der türkische Politik-Professor Mesut Hakki Çasin, ein pensionierter Offizier. Es gehe vor allem um Tourismus sowie den Öl- und Erdgassektor. (wg/dpa/apa)

HINTERGRUND

Das türkische Passagierschiff Mavi Marmara war Teil einer Gaza-Hilfsflotte, die 2010 Hilfsgüter und „Aktivisten“ in den von Israel blockierten Gazastreifen bringen wollte. Auf der Mavi Marmara reisten 581 Personen, davon ca. 400 Türken; am 31. Mai brachten israelische Marines sie in internationalen Gewässern auf, nachdem die Flotte angekündigt hatte, die Blockade ignorieren. Beim Entern wurden neun Aktivisten getötet (ein zehnter starb später) und Dutzende verletzt. Auch sieben Israelis wurden verletzt, weil Aktivisten mit Messern, Rohren und Wurfgeschossen auf die Angreifer losgingen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Sechs Jahre unterhielten Israel und die Türkei keine diplomatischen Beziehungen.
Außenpolitik

Wie Erdogan in Israel nach Alternativen zum Westen sucht

Mit Washington, Brüssel und Berlin liegt der türkische Präsident im Streit. Er sucht neue Bündnispartner und beendet die diplomatische Eiszeit zu Jerusalem.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.