Deutschland: Was, wenn morgen Krieg ist?

Die deutsche Regierung empfiehlt, Lebensmittel für zehn und Wasser für fünf Tage vorrätig zu haben.
Die deutsche Regierung empfiehlt, Lebensmittel für zehn und Wasser für fünf Tage vorrätig zu haben.(c) picturedesk.com
  • Drucken

Erstmals seit drei Jahrzehnten legt die Bundesregierung wieder ein Zivilschutzkonzept für den Ernstfall vor. Die Bevölkerung soll Vorräte anlegen. Und die Opposition spricht von Panikmache.

Berlin. Was tun, wenn morgen Krieg in Deutschland ist? Wenn eine radioaktive Wolke über Mitteleuropa zieht? Oder wenn es einen Angriff mit chemischen Waffen gibt? Wie wird die Bevölkerung dann in Sicherheit gebracht? Und wohin flüchtet im Ernstfall eigentlich die Bundesregierung? Diesen Fragen, die man gern verdrängt und die sich im deutschen Alltag normalerweise nicht stellen, widmet sich die Bundesregierung in der „Konzeption für zivile Verteidigung“. Das 69 Seiten starke Papier wurde vom Bundesinnenministerium ausgearbeitet und soll am Mittwoch beschlossen werden. Erstmals seit dem Kalten Krieg hat Deutschland dann wieder eine Strategie dafür, wie die Bevölkerung im Ernstfall zu schützen ist.

Aber wozu? Und vor allem: Warum jetzt? Die jüngsten Terroranschläge in Deutschland und anderen europäischen Staaten seien nicht der Anlass, wird in Regierungskreisen versichert. Dafür spricht, dass das Zivilschutzkonzept schon 2012 vom Haushaltsausschuss des Bundestages in Auftrag gegeben worden war, parallel zum Weißbuch für die Sicherheitspolitik. Allerdings bekommt es in Tagen wie diesen dann doch einen anderen Stellenwert. Grüne und Linke warfen der Regierung bereits Stimmungsmache bzw. eine bewusste Verunsicherung der Bevölkerung vor. Und möglicherweise ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht ganz zufällig vor den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern (4. September) und Berlin (18. September) gewählt.

Wobei in dem Papier – laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ – ausdrücklich festgehalten wird, dass ein Angriff auf deutsches Territorium, der eine konventionelle Landesverteidigung erfordere, unwahrscheinlich sei. Doch die Sicherheitsvorsorge verlange es, „sich trotzdem auf eine solche, für die Zukunft nicht grundsätzlich auszuschließende existenzbedrohende Entwicklung angemessen vorzubereiten“.

Gemeint ist damit nicht der Einmarsch von Panzerdivisionen wie im Kalten Krieg. Als größte Bedrohung gelten heute „hybride Konflikte“, bei denen der Gegner unkonventionelle Mittel einsetzt, etwa Sabotage oder Computerviren. Eskaliert ein Konflikt, könnten solche Angriffe mit Massenvernichtungswaffen kombiniert werden. Auch die Nato plant mit diesen Annahmen – nur eben nicht in Deutschland. Die deutsche Bundesregierung geht hier einen Schritt weiter.

Außerdem empfiehlt sie der Bevölkerung, Vorräte anzulegen – für den Fall, dass die öffentliche Versorgung zusammenbricht: Bargeld, Lebensmittel für zehn Tage und natürlich Trinkwasser: „Die Bevölkerung soll durch geeignete Maßnahmen angehalten werden, zur Eigen-/Erstversorgung bis zur Installation staatlicher Einzelmaßnahmen für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Wasser pro Person und Tag in nicht gesundheitsschädlicher Qualität vorzuhalten.“

Warnung per App statt Sirenen auf Dach

In dem Papier werden auch andere wesentliche Fragen erörtert, zum Beispiel das Warnsystem des Bundes, das zu den „lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen“ gehöre. Während des Zweiten Weltkrieges und danach gab es dafür Sirenen. In den Achtzigern – Stichwort Tschernobyl – setzte man dann verstärkt auf Radio und Fernsehen. Heute ist es das Internet.

Das deutsche Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat vor Kurzem die (kostenlose) App „Nina“ herausgebracht. Der Nutzer kann Orte auswählen, für die er Warnungen bekommt – etwa bei Unwettern. Oder wenn Blindgänger entschärft werden. 850.000 Mal wurde die App bereits heruntergeladen. Es gibt jedoch einen Nachteil: Durch Cyberangriffe wäre dieses System verwundbar.
Daneben will die Bundesregierung Erdölreserven für 90 Tage einlagern. Es gibt einen Notstromplan und Vorkehrungen für das Gesundheitssystem. Man brauche ausreichend Pockenimpfstoffe, Antibiotika und Kaliumiodid-Tabletten. Vor den Spitälern sollen Dekontaminationsstellen eingerichtet werden.

Außerdem soll die zivile Unterstützung der Streitkräfte wieder zur Priorität werden. Dazu gehören Eingriffe in den Straßenverkehr, sofern die Bundeswehr Kampfverbände verlegen muss. Ein wichtiges Thema ist auch der Selbstschutz der staatlichen Organe: Für den Fall der Aufgabe des Dienstsitzes sind Vorkehrungen zu treffen, um die Aufgabenwahrnehmung einer Behörde an einen anderen, geschützteren Platz (Ausweichsitz) verlagern zu können, heißt es in dem Konzept.

Auf einen Blick

Die deutsche Bundesregierung beschließt am Mittwoch eine „Konzeption für zivile Verteidigung“, also eine Anleitung für den Schutz der Bevölkerung im Kriegsfall oder nach einer Katastrophe. Eine solche Strategie gab es seit dem Kalten Krieg nicht mehr. In dem 69 Seiten starken Papier geht es um den Selbstschutz der Bevölkerung, ein verlässliches Alarmsystem, die Einlagerung von Erdölreserven, medizinische Notversorgung, die zivile Unterstützung der Streitkräfte und auch um den Schutz der staatlichen Organe. Ein Angriff auf deutsches Territorium sei zwar unwahrscheinlich, heißt es. Aber man müsse sich angemessen vorbereiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Symbolbild.
Innenpolitik

Wien setzt auf Eigenvorsorge

In Österreich verordnet niemand das Halten von Vorräten. Dafür informiert der Zivilschutzverband über jedwedes Krisenszenario.
Schutzkeller sind meist Relikte aus Zeiten des Kalten Kriegs - so wie das Zivilschutzkonzept in Deutschland, das nun aktualisiert werden soll.
Außenpolitik

Zivilschutz: Deutsche Regierung rät dazu Vorräte anzulegen

Das neue deutsche Zivilschutzkonzept kommt zu einem beunruhigenden Zeitpunkt. Die Opposition wirft der Regierung Verunsicherung der Bevölkerung vor.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.