Nigeria: Rätsel um den Chef der Terrorsekte Boko Haram

Boko-Haram-Chef Abubakar Shekau.
Boko-Haram-Chef Abubakar Shekau.(c) AFP
  • Drucken

Die Armee will Abubakar Shekau bei einem Luftangriff schwer getroffen und mehrere hochrangige Mitglieder der Terrorsekte getötet haben. Shekau gilt als geschwächt. Mit dem IS scheint er sich überworfen zu haben.

Abuja. Das kurze Statement der nigerianischen Armee kam mit der freundlichen Bitte um mediale Weiterverbreitung: In einem „noch nie da gewesenen und spektakulären Luftangriff“ sei es den Streitkräften gelungen, einige hochrangige Anführer der Terrorsekte Boko Haram zu töten. Andere seien schwer verwundet worden, darunter auch der Chef der Gruppe, Abubakar Shekau, teilte Armeesprecher Sani Usman mit.

Die Erklärung hätte sich auch ohne Aufforderung in Windeseile verbreitet: Sollte Shekau tatsächlich schwer verwundet oder gar tot sein, wäre das der bisher schwerste Schlag der Armee gegen die Jihadistengruppe, die im Nordosten Nigerias bis über die Grenzen der Nachbarstaaten Kamerun, Tschad und Niger ihr Unwesen treibt.

Eine unabhängige Bestätigung war dafür vorerst freilich nicht zu erhalten, und auch aufseiten der Terrorgruppe blieb es zunächst ruhig. Die Angaben sind mit Vorsicht zu genießen: Nicht nur einmal hatte die Regierung in Abuja in den vergangenen Jahren den Tod Shekaus verkündet, nur um ein Dementi des Terrorführers zu provozieren. Auch verwirrte in dem Statement die Formulierung, wonach Shekau an seinen Schultern „tödlich verwundet“ („fatally wounded“) worden sei. Sprecher Usman stellte später dann klar, gemeint sei lediglich eine schwere Verletzung.

Anders als früher kommt die Nachricht von Dienstag allerdings zu einer Zeit, in der die Terrorsekte als militärisch geschwächt gilt und es ernsthafte Anzeichen für eine Spaltung in den Reihen der nigerianischen Gotteskrieger gibt. Letztere beziehen sich direkt auf den bisherigen Führer Shekau.

Boko Haram schwor dem sogenannten Islamischen Staat (IS) im März 2015 die Treue, ungefähr zur selben Zeit, als die nigerianische Armee zusammen mit den Nachbarstaaten ihren Kampf gegen die Jihadisten ausweitete. Viele Analysten hielten diesen Schwur lang für ein Lippenbekenntnis, in den vergangenen Monaten verstärkten sich aber Anzeichen für eine Kooperation der beiden Gruppen. So soll Boko Haram Kämpfer nach Libyen geschickt haben, um dort die IS-Extremisten zu unterstützen.

Vor drei Wochen sorgte dann ein zweiseitiges Interview im IS-Sprachrohr al-Naba für Aufsehen, in dem der Interviewte, ein Mann namens Abu Musab al-Barnawi, als „Gouverneur“ von Boko Haram in Westafrika vorgestellt wurde. Al-Barnawi war davor als Sprecher der Sekte aufgetaucht, nicht aber als Anführer. Shekau sah sich dazu veranlasst, nur Stunden später in einer als authentisch eingestuften Audiobotschaft seine Absetzung zu dementieren und seinen Führungsanspruch Tage später auch in einem Video noch einmal zu bekräftigen.

Dieser öffentlich ausgetragene Streit deutete auf einen Machtkampf innerhalb der Boko Haram hin, der die Gruppe spalten könnte. Es ist möglich, dass es in der Boko Haram Kämpfer gibt, die bereit sind, Shekau zu verraten. Inhaltlich stoßen der sonst äußerst brutalen IS-Führung offenbar ausgerechnet die vielen Angriffe der Terrorsekte auf die Zivilbevölkerung auf, bei denen Muslime sterben. Das lässt sich aus dem Barnawi-Interview ableiten, in dem dieser fordert, Kirchen anzugreifen und mehr Christen statt Muslime zu töten. (raa)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Boko Haram zeigt entführte Mädchen in Clip

Schülerinnen als Propagandawaffe im Kampf der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram mit der nigerianischen Armee.
Ein Boko-Haram-Kämpfer fordert die Freilassung von in Nigeria inhaftierten Islamisten.
Außenpolitik

Boko-Haram-Video: Lebenszeichen von Chibok-Mädchen

Ein Video der Terror-Organisation zeigt etwa 50 der vor zwei Jahren entführten Mädchen aus Chibok. Es gibt erstmals konkrete Forderungen für die Freilassung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.