Deutschland: Schicksalsmonat für den SPD-Chef

Bleibt Sigmar Gabriel im roten Chefsessel oder nicht? Das ist in Berlin die Frage.
Bleibt Sigmar Gabriel im roten Chefsessel oder nicht? Das ist in Berlin die Frage.(c) REUTERS (HANNIBAL HANSCHKE)
  • Drucken

Sigmar Gabriel will als Kanzlerkandidat der SPD nächstes Jahr gegen Angela Merkel antreten, doch zuletzt hat er Konkurrenz bekommen. Die Entscheidung fällt noch im September.

Berlin. Unlängst, bei einer Hafenrundfahrt in Rostock mit Sigmar Gabriel: Ein Journalist wollte vom SPD-Chef wissen, ob er denn glaube, dass CDU und CSU nächstes Jahr bei der Bundestagswahl einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten aufstellten. Das sei ja nun wirklich Sache der Union, antwortete Gabriel. Die nächste Frage lag dann irgendwie auf der Hand, ein anderer Journalist stellte sie – halb feixend, halb ernst: Ob eigentlich die SPD einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten nominieren werde?

Man kann vorwegnehmen: Sie wird. Die Frage ist nur, ob er Sigmar Gabriel heißen wird. Der September ist für den SPD-Vorsitzenden in etwa das, was der April für seinen ehemaligen österreichischen Kollegen Werner Faymann war: ein Schicksalsmonat, in dem sich seine politische Zukunft entscheiden wird. Auch Gabriel ist in seiner Partei umstritten. Und das Programm der nächsten Wochen birgt eine ganze Reihe Risiken für ihn.

Zunächst muss der 56-Jährige um zwei Bundesländer zittern. Am 4. September wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neues Landesparlament gewählt, zwei Wochen später ist Berlin an der Reihe. Da wie dort ist die SPD in den Umfragen auf einen historischen Tiefstand abgestürzt, auch wenn sie sich zuletzt wieder ein bisschen erholt hat.

In der Hauptstadt, in der Bürgermeister Michael Müller um sein Amt und Platz eins für die Sozialdemokraten kämpft, ist die schlechte Datenlage weitgehend hausgemacht. Aber wenn die SPD mit dem langjährigen und noch immer populären Kandidaten Erwin Sellering Mecklenburg-Vorpommern verlierte, würde die Schuldfrage wohl zu Gabriels Ungunsten geklärt.

Widerstand gegen Ceta

Und dann wäre da noch der Parteikonvent am Tag nach der Berlin-Wahl (19. September) in Wolfsburg, bei dem die SPD über das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta abstimmt. Als Wirtschaftsminister ist Gabriel dafür mitverantwortlich. Und im Gegensatz zum EU-USA-Abkommen TTIP, bei dem der Parteichef schon relativ früh einsehen musste, dass es in der SPD nicht durchzusetzen sein wird, hat er für Ceta intensiv geworben.

Doch in seiner Partei gibt es auch gegen den Freihandel mit Kanada große Bedenken. Man sorgt sich um die Arbeitnehmerrechte und hinterfragt die vielen Gremien, allen voran den „Gemischten Ceta-Ausschuss“, der vom EU-Handelskommissar und vom kanadischen Handelsminister geleitet werden soll. Demokratisch sei dieser Ausschuss nicht legitimiert, heißt es nicht nur im linken SPD-Flügel.

Die Landesverbände in Bayern und Bremen sowie die Jusos haben sich schon gegen Ceta positioniert. Anderswo ist die Stimmung auf der Kippe. Sollten die SPD-Delegierten gegen Ceta stimmen, wäre Gabriels Autorität infrage gestellt. Kanzlerkandidat könnte er dann nicht mehr werden, und auch als Parteichef wäre er wohl kaum zu halten.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Gefechtslage in der Chefetage der SPD verändert hat. Bis vor einigen Monaten war kaum jemand geneigt, sich im Herbst 2017 die erwartbare Niederlage gegen Angela Merkel abzuholen, auch Gabriel nicht. Doch mit ihrer offenen Flüchtlingspolitik hat die Kanzlerin dramatisch an Zustimmung eingebüßt. Und jetzt rechnet sich nicht nur Gabriel Chancen aus.

Schulz möglicher Nachfolger

In den deutschen Medien werden bereits mögliche Nachfolger kolportiert. Der eine heißt Olaf Scholz und ist Hamburgs Erster Bürgermeister. Der andere ist EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Beide haben angedeutet oder andeuten lassen, dass sie im Bedarfsfall zur Verfügung stünden. Im Hintergrund sollen Scholz und Schulz auch schon eifrig in eigener Sache lobbyieren.

Gabriel will in der K-Frage daher möglichst schnell eine Entscheidung erzwingen. Zuletzt absolvierte er eine Sommertour durchs Land, um die Stimmung – auch in den eigenen Reihen – auszuloten. Dabei schlug er neue Töne an. Immer öfter hörte man den eher marktfreundlichen SPD-Chef zuletzt über die fehlende soziale Balance von Gerhard Schröders Arbeitsmarktreformen („Agenda 2010“) klagen – und über den globalen Finanzkapitalismus, der ohnehin an allem schuld sei. Manche sprechen bereits von einer Linkswende Gabriels. Auch das kommt nicht überall in der SPD gut an. Man ärgert sich über die Sprunghaftigkeit des Parteichefs.

Noch kann aber alles anders kommen. Wenn die SPD Mecklenburg-Vorpommern und Berlin hält. Wenn Gabriel Ceta durchbringt. So schnell könnte ihn dann nichts mehr zu Fall bringen. Dann wäre er als Kanzlerkandidat gebucht.

Auf einen Blick

Im Lauf des Septembers wird sich entscheiden, ob Sigmar Gabriel bei der Bundestagswahl 2017 Kanzlerkandidat der SPD wird – und wohl auch, ob er Parteichef bleibt. Abhängen wird das vom Ausgang der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern (4. September) und Berlin (18. September) bzw. von der SPD-Abstimmung über Ceta am Tag nach der Berlin-Wahl. Als Wirtschaftsminister hat Gabriel intensiv für das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen geworben. Doch in seiner Partei mehren sich die Zweifel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Sigmar Gabriel zeigt deutlich, was er von den vermummten Besuchern hält.
Außenpolitik

So viel hält Sigmar Gabriel von rechten Pöbeleien

Rechte Krawallmacher versuchten einen Auftritt des deutschen Vizekanzlers zu stören. Dieser reagierte auf Anfeindungen mit eindeutiger Geste.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.