Syrien: Mit Türkei verbündete Rebellen dringen in IS-Hochburg vor

Eine Detonation nach einem Angriff der türkischen Armee im Norden Syriens.
Eine Detonation nach einem Angriff der türkischen Armee im Norden Syriens.APA/AFP/BULENT KILIC
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Eine Offensive Ankaras gegen den IS und Kurden in Nordsyrien ist erfolgreich: Milizen rücken nach Jarublus vor. Die kurdische PYD droht Erdogan.

Zwölf Stunden nach Beginn einer türkischen Militäroffensive in Nordsyrien sind mit der Türkei verbündete Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) am Mittwochnachmittag offenbar erstmals in die IS-Hochburg Jarablus vorgedrungen. Ein entsprechender Bericht der türkischen Nachrichtenagentur Andalou bestätigte Reuters eine Kommandant der Rebellen.

Der Großteil der IS-Kämpfer hätte sich aus Jarablus zurückgezogen, erklärte der Kommandant. Manche hätten sich den ankommenden Truppen ergeben. Laut Angaben eines weiteren Kommandanten sind bereits 50 Prozent der nordsyrischen Grenzstadt unter Kontrolle der mit der Türkei verbündeten Rebellen. Zudem hätte sich die Jihadistenmiliz aus mehreren Ortschaften rund um Jarablus in Richtung Süden zurückgezogen. 

Am Vormittag waren zu Beginn der Bodenoffensive mehrere türkische Panzer auf syrisches Gebiet vorgedrungen und nahmen IS-Stellungen in Jarablus unter Beschuss, wie mehrere Augenzeugen am Mittwochvormittag übereinstimmend berichteten.

Bei den Luftangriffen zur Rückeroberung von Jarablus wird die Türkei von der internationalen Anti-IS-Koalition unterstützt. Die Offensive sei um 4.00 Uhr Lokalzeit gestartet worden, erklärte Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara. Der Einsatz der Armee sei "gegen Bedrohungen gerichtet", die für die Türkei von Terrororganisationen wie dem IS oder der syrischen Kurdenmiliz YPG ausgingen. "Hinter diese Angriffe muss jetzt ein Schlusspunkt gesetzt werden", forderte Erdogan. "Das müssen wir lösen".

"Wollen Sumpf trocken legen"

"Schutzschild Euphrat" benennt die Türkei die Offensive. Denn Jarablus liegt direkt am Fluss Euphrat. Ein großes Gebiet auf der westlichen Seite des Flusses an der Grenze zur Türkei wird vom IS kontrolliert, das Gebiet östlich von der YPG, die von den USA unterstützt werden. Zudem liegt Jarublus rund 35 Kilometer nördlich der Stadt Manbij, die erst kürzlich von einem Bündnis unter Führung der YPG zurückerobert worden war.

Die Kurdenmiliz ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den IS in Syrien. Allerdings hat die Türkei mehrfach vor einem weiteren Vorrücken der Milizen gewarnt. Ankara sieht die YPG ebenso wie die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK als terroristisch an und will unter allen Umständen vermeiden, dass an seiner Südgrenze ein zusammenhängendes Herrschaftsgebiet der Kurden entsteht. Erst Anfang der Woche hatte die Türkei Stellungen der Kurdenmiliz in der Nähe der Stadt Manbij beschossen.

Ankara ist daher gegen die amerikanische Hilfe für die YPG. Das machte Erdogan in seinem Statement am Mittwoch auch klar: Wenn Länder Terrorgruppen unterstützten, sei es so, als halte man eine entschärfte Granate in der Hand.

Heftige Kritik an der türkischen Offensive kam am Mittwoch auch vom Co-Vorsitzenden der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim. "Die Türkei ist im syrischen Sumpf", schrieb er auf Twitter. "Sie wird besiegt werden wie Daesh." Daesh ist die arabische Abkürzung für die Terrormiliz IS. "Wir werden diese geheime Agenda durchkreuzen", entgegnete der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu: "Unsere Absicht ist es, den Sumpf trockenzulegen." 

Damaskus kritisiert Offensive

Bereits am Dienstagabend hatte die türkische Regierung laut Medienberichten die Evakuierung des türkischen Grenzorts Karkamis angeordnet, der gegenüber von Jarablus auf der anderen Grenzseite liegt. Karkamis war zuvor von IS-Seite mit Mörsergranaten beschlossen worden, die türkische Armee erwiderte das Feuer. Auch am Mittwoch schlugen erneut Mörsergranaten nahe Karkamis ein, verletzten aufgrund der Evakuierung der Stadt jedoch niemanden.

Der türkische Vizeministerpräsident Numan Kurtulmus bezeichnete die Rückeroberung des Grenzorts im einem Interview mit dem privaten Fernsehsender NTV als "nationale Sicherheitsangelegenheit". Es ist das erste Mal seit dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch türkische Jets im November 2015, dass die türkische Luftwaffe IS-Stellungen in Jarablus bombardiert.

Damaskus verurteilte die türkische Militäroffensive scharf: Bei dem Einsatz handle es sich um einen offenen Verstoß gegen die Souveränität Syriens, hieß es am Mittwoch aus dem syrischen Außenministerium. Es gehe nicht darum, den Terrorismus zu bekämpfen, sondern ihn durch einen anderen zu ersetzen.

Russland reagierte mit vorsichtiger Unterstützung für die Türkei. Die Türkei solle ihr Vorgehen aber mit der syrischen Führung abstimmen, forderte ein Vertreter des russischen Außenministeriums am Mittwoch in Moskau.

US-Vizepräsident Biden in Türkei

Am Mittwochvormittag traf US-Vizepräsident Joe Biden zu politischen Gesprächen in der türkischen Hauptstadt Ankara ein. Biden ist der erste westliche Spitzenpolitiker, der das Land seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli besucht. Die Beziehungen zwischen den USA und ihrem wichtigen NATO-Partner Türkei stecken derzeit in einer tiefen Krise.

Ein zentrales Thema bei den Gesprächen wird das Auslieferungsgesuch der türkischen Regierung für den islamischen Prediger Fethullah Gülen sein, der seit 1999 im Exil in Pennsylvania lebt und lange Jahre ein enger Vertrauter des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan war. Ankara macht den 75-jährigen Gründer der einflussreichen Hizmet-Bewegung für den Umsturzversuch verantwortlich, obwohl er jede Verwicklung bestreitet. Washington fordert konkrete Beweise für eine Auslieferung.

(APA/AFP/Reuters)

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