Brasilien: Letzter Akt im Drama um Dilma Rousseff

Die ehemalige brasilianische Guerilla-Kämpferin Dilma Rousseff dürfte in den kommenden Tagen die Schlacht um ihr Präsidentenamt endgültig verlieren.
Die ehemalige brasilianische Guerilla-Kämpferin Dilma Rousseff dürfte in den kommenden Tagen die Schlacht um ihr Präsidentenamt endgültig verlieren.(c) REUTERS (REUTERS FILE PHOTO)
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Nur wenige Tage nach der olympischen Schlussfeier beginnt am Donnerstag in Brasília das letzte Verfahren über die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Ihre Chancen stehen schlecht.

Buenos Aires/Brasília. Fünf Tage, nachdem das olympische Schlussfeuerwerk verraucht ist, schleicht der Kater durch Brasilien. Sportler und Betreuer sind aus Rio abgereist und haben das olympische Dorf den Bauarbeitern überlassen, die das Kunststück fertigbringen sollen, die mangelhaften und spartanisch dekorierten Betonklötze in ein Luxusquartier zu verwandeln. Und auch in der Hauptstadt will man in den kommenden Tagen eine ähnlich ambitionierte Transformation umsetzen. Die endgültige Amtsenthebung der Präsidentin Dilma Rousseff soll den Weg aus Dauerkrise, Rezession und Reformstau ebnen.

Am Donnerstag beginnt im Senatsgebäude von Brasília das Finale des Impeachment-Prozesses gegen die am 12. Mai vorläufig suspendierte Staatschefin und Vorsitzende der Arbeiterpartei PT. Zunächst wollen die 81 Senatoren Zeugen von Anklage und Verteidigung anhören. Diese sollen über die vermeintlichen Haushaltsmanipulationen aussagen, die der Präsidentin zur Last gelegt werden. Rousseff und ihr damaliger Finanzminister, Guido Mantega, sollen Budgetdefizite in den Bilanzen staatlicher Banken versteckt haben. So sei die Präsidentin imstande gewesen, in der Wahlkampagne 2014 Geschenke zu verteilen. Rousseff gewann im November 2014 die Stichwahl mit 51,64 Prozent.

Nun droht ihr eine deutlichere Niederlage. Auf dem Weg zu diesem Finale furioso gab es Mitte August eine Vorabstimmung, in der 59 Senatsmitglieder für das Verfahren – also gegen die Präsidentin – votierten und nur 21 für sie. Dass nach der ersten Impeachment-Runde am 12. Mai Mitschnitte auftauchten, die ein Komplott gegen die Präsidentin nahelegten, störte die Senatoren wenig. Umfragen zeigen, dass nicht einmal jeder zehnte Brasilianer Rousseff zurückwünscht. Diese Rate ist noch mieser als die 15 Prozent Zustimmung zu Rousseffs einstigem Vize und möglichem Nachfolger, Michel Temer. Der hatte am Sonntag die Olympia-Schlussfeier geschwänzt, um nicht noch einmal vor aller Welt ausgebuht zu werden wie bei der Eröffnung.

Temer plant Reformpaket

Rousseff müsste mindestens fünf Senatoren davon überzeugen, ihr Votum pro Impeachment zu revidieren. Dazu hat sie ihre Strategie geändert. Sie will nicht mehr über ihre Verteidiger kommunizieren, bei ihrem Auftritt am kommenden Montag will sie selbst zu den Senatoren sprechen. Sie bekommt dafür nach den Statuten eine halbe Stunde Redezeit, danach soll sie Fragen der Senatoren beantworten. Wie vor Gericht kann die beschuldigte Präsidentin aber auch ihre Aussage verweigern.

Die Tageszeitung „Folha de São Paulo“ fragte Rousseff, ob sie vor der Befragung durch ihre Kontrahenten nicht Unbehagen empfinde. Die Ex-Guerillera, die in jungen Jahren mehr als drei Jahre Militär-Folterhaft durchleiden musste, antwortete: „Ich habe keine Angst, ich habe schon wesentlich Schlimmeres ausgehalten. Das hier gehört zu den demokratischen Spielregeln.“

Rousseff deutete an, den Weg zu Neuwahlen zu ebnen, falls sie doch noch um eine Amtsenthebung herumkomme. Ein neuer Urnengang wäre, so belegen die meisten Umfragen, der Wunsch der meisten Brasilianer. Doch die Senatoren, viele davon befleckt durch den Schmiergeldskandal beim staatlichen Ölriesen Petrobras, dürften darauf nicht einsteigen.

Kommenden Dienstag oder Mittwoch könnte Dilma Rousseff Geschichte sein. Druck auf die Senatoren kommt vor allem von der anderen Straßenseite von Brasílias „Monumentalachse“. Im Palácio do Planalto möchte Michel Temer möglichst bald das „Interim“ vor seinem Präsidententitel loswerden. Am ersten Septemberwochenende will er als Brasiliens Präsident beim G20-Gipfel in China auftreten, und in einer Ansprache am Nationalfeiertag am 7. September sein großes Reformpaket verkünden. Temer und sein Finanzminister, Henrique Meirelles, wollen das Arbeitsrecht flexibilisieren und dabei viele unter der PT-Herrschaft eingeführte Regelungen zu Kündigungsschutz, Überstundenvergütung und Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld aufheben. Außerdem ist eine Reform des Rentensystems fertig, die Pensionen erst ab 65 Lebensjahren erlauben. Bisher gab es kein festes Eintrittsalter, weshalb viele Bürger Rente bezogen, ehe sie 50 wurden. Temer und Meirelles müssen einkalkulieren, dass ihre Reformvorhaben Proteste provozieren werden.

Im Petrobras-Sumpf

Und dann ist da noch etwas: Mitte August zitierte das Magazin „Veja“ aus der Kronzeugenaussage des inhaftierten Baubosses Marcelo Odebrecht. Dieser will Temer im Wahlkampf 2014 zehn Millionen Reais in bar gegeben haben, 2,75 Millionen Euro. Schon mehr als 50 Kronzeugen des Petrobras-Korruptionsschemas haben ausgepackt, aber immer noch kommen neue Aussagen dazu. Und erst allmählich zieht die für Politiker zuständige Bundesjustiz die strafrechtlichen Konsequenzen. Seit voriger Woche laufen nun auch formelle Ermittlungen gegen Dilma Rousseff. Der Generalbundesanwalt Rodrigo Janot verdächtigt sie, die Justiz behindert zu haben, weil sie ihren – inzwischen ebenfalls formell beschuldigten – Vorgänger Lula mit einem Ministeramt ausstatten wollte. Sie habe, so der Verdacht, ihren Förderer damit dem Zugriff des Petrobras-Aufdeckers Sérgio Moro entziehen wollen.

Außerdem belasten offenbar inzwischen mehrere PT-Vertreter, darunter der Wahlkampfstratege João Santana, das Führungspaar Dilma und Lula. Beide hätten von dem Korruptionsschema gewusst und Lula habe einen redefreudigen Ex-Petrobras-Manager mit einem Schmiergeldangebot zum Schweigen bringen wollen.
Vor ihrem Weg in den Senat wandte sich Dilma Rousseff vorige Woche mit einem offenen Brief an die Senatoren und das Volk. Sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Falls sie nächste Woche ihr Amt verliert und damit das Recht auf ein Staatsamt während der kommenden acht Jahre, will sie mehrere Monate auf Reisen gehen. Angeblich erwägt sie auch, ihre Memoiren zu verfassen, daheim in Porto Alegre. Das Viertel, in dem ihr Haus steht, hat übrigens einen passenden Namen: Tristeza.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2016)

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