„Euphrates Shield“: Weitere türkische Panzer rollen in Syrien ein

Erst am vergangenen Wochenende hat der türkische Premier, Binali Yildirim, angekündigt, aktiver in Syrien einzugreifen. Nun macht Ankara schneller Ernst als erwartet.
Erst am vergangenen Wochenende hat der türkische Premier, Binali Yildirim, angekündigt, aktiver in Syrien einzugreifen. Nun macht Ankara schneller Ernst als erwartet.(c) REUTERS (STRINGER)
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Die Türkei schickte am Donnerstag erneut Panzer nach Nordsyrien. Sie sollen gegen den IS vorgehen – und gegen die Kurden.

Dichte Rauchschwaden stiegen in den Himmel über den Hügeln um Jarablus. Artillerie und Panzer schossen nonstop, Kampfflugzeuge warfen Bomben ab. Nachdem die Türkei am Mittwoch um 1.00 Uhr nachts ihre Offensive auf die syrische Grenzstadt gestartet hatte, führte das Militär die Aktion am Donnerstag fort. Am Vortrag waren türkische Spezialeinheiten unter dem Schutz von Panzern auf syrisches Territorium vorgedrungen. Am Donnerstag schickte Ankara weitere zehn Panzer, begleitet von Krankenwagen und schweren Geschützen.

Am Mittwochabend hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärt, die Freie Syrische Armee habe Jarablus eingenommen. Die Kämpfer des IS hätten sich zurückgezogen.

Die Regierung in Damaskus verurteilte die türkische Invasion scharf als offenen Verstoß gegen die Souveränität Syriens. Die Türkei machte schneller Ernst, als viele Beobachter wohl gedacht hatten. Denn erst am vergangenen Wochenende hatte der türkische Premierminister, Binali Yildirim, einer handverlesenen Schar von Journalisten in Istanbul angekündigt, die Türkei werde „in den nächsten sechs Monaten aktiver in Syrien eingreifen“. Und keine vier Tage danach rollte die Armee schon nach Syrien ein. Die Türkei hat es eilig, ihr ramponiertes außenpolitisches Image wieder aufzupolieren.

Denn auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) wollten Jarablus erobern, und das sollte unbedingt verhindert werden. Denn in diesem ethnisch übergreifenden Militärbündnis stellt die Kurdenmiliz YPG, neben Assyrern, Turkmenen und Arabern, den Hauptteil der Kämpfer. Ziel der Türkei ist es, die Kurden zurückzudrängen.

"Unsere Abmachung mit den USA lautet, dass sich die Kurden aus Manbij und der Region auf die Ostseite des Euphrats zurückziehen müssen", führte Yildirim aus. "Das ist die Zusage, die Garantie, die uns die USA gegeben haben." US-Vizepräsident Joe Biden hatte der Türkei am Mittwoch bei politischen Gesprächen in Ankara Unterstützung für ihr Vorgehen in Nordsyrien zugesichert. "Wir unterstützen nachdrücklich, was das türkische Militär tut", sagte er am Abend nach einem Treffen mit dem türkischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara auf Fragen von Journalisten.

Kritik am Kurs der Türkei

Der deutsche Politiker Norbert Röttgen (CDU) kritisierte den militärischen Kurs der Türkei gegen die Kurden in Nordsyrien. Es sei zwar zu begrüßen, dass die Türkei politisch und militärisch gegen den IS vorgehe, sagte der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Deutschen Bundestag am Donnerstag. Er missbillige aber die militärischen Aktionen gegen die Kurden, denn diese seien noch immer ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS. Röttgen: "Die Kurden hinten runterfallen zu lassen, ist inakzeptabel."

Doch für Ankara ist die YPG eine „Bande von Terroristen“. Im Laufe der vergangenen zwölf Monate hatte die Türkei den militärischen Erfolgen dieser „Terroristen“ im Norden Syriens machtlos zusehen müssen. Das soll sich nun ändern. Die türkische Armee nutzte gleich zu Beginn die Gelegenheit, parallel zum Artilleriebeschuss auf Jarabalus auch Stellungen der SDF in Manbij unter Feuer zu nehmen. Aus dieser knapp 40 Kilometer entfernten Stadt war erst vor zwei Wochen der IS vertrieben worden. „Die Türkei ist im syrischen Sumpf“, twittert der Ko-Vorsitzende der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim. Sie werde besiegt werden wie der IS.

Biden droht den Kurden

Am Mittwoch kam US-Vizepräsident Joe Biden auf einen offiziellen Staatsbesuch zu Gesprächen nach Ankara. Eigentlich sollte man meinen, das sei kein guter Zeitpunkt, Verbündete der USA anzugreifen. Die SDF sind mittlerweile ein enger Partner Amerikas. Nur die Luftunterstützung des Pentagon und die Entsendung einiger Hundert Militärberater haben die großen territorialen Gewinne der Allianz in Nordsyrien möglich gemacht. Bis zu 20.000 Quadratkilometer sollen dem IS abgenommen worden sein. Aber es scheint Absprachen zwischen Ankara und Washington gegeben zu haben: US-Kampfflugzeuge unterstützen die türkische Offensive bei Jarablus und bombardieren IS-Stellungen in der Grenzstadt.
Biden war dann auch sichtlich um versöhnliche Töne bemüht. Die kurdischen Kämpfer müssten sich aus der Stadt Manbij auf das östliche Ufer des Flusses Euphrat zurückziehen, richtete er kurz nach seiner Ankunft in Ankara den kurdischen Verbündeten aus. Andernfalls werde den kurdischen Milizen jede weitere militärische Hilfe durch die USA verweigert. Gleichzeitig sagte er zu, Washington werde eine mögliche Auslieferung des Predigers Fetullah Gülen gründlich prüfen, den Ankara für den gescheiterten Putschversuch Mitte Juli Juli verantwortlich macht.

Von Tag zu Tag scheint die Syrien-Politik verworrener zu werden. Die Türkei hat selbst vor Tagen für Furore gesorgt, als sie ihre neuen außenpolitischen Richtlinien bekannt gab. Ankara kooperiert nun mit Russland und dem Iran. Es sind die beiden Hauptverbündeten des syrischen Regimes, die in der Türkei noch vor Monaten als „Schlächter des syrischen Volkes“ galten. Selbst Bashar al-Assad darf jetzt Interimspräsident werden. Früher war das undenkbar, eine rote Linie der Türkei, über die es keine Diskussionen geben sollte. Im syrischen Bürgerkrieg scheinen alle nur erdenklichen Kapriolen möglich zu sein.
Hinter dem Gesinnungswechsel steht, wie gemeinhin üblich in der internationalen Politik, ein Interessenausgleich. Russland, der Iran und die Türkei legten den „Kampf gegen Terrorismus“ als Basis ihrer neuen Zusammenarbeit fest. Wer oder was unter Terrorismus zu verstehen ist, scheint jeder selbst definieren zu können – wenngleich Moskau die türkische Offensive prompt kritisierte. In Jarablus hat die Türkei ihren Terrorkampf begonnen. Die Armee geht gegen den IS vor, aber das wichtigere Ziel scheint die SDF zu sein, die „Tarnorganisation“ der Kurdenmiliz YPG
Gegenüber von Jarablus, direkt auf der türkischen Seite, liegt der Ort Karakamis. Seit über einer Woche sammeln sich dort syrische Rebellengruppen. Sie wurden über geheime Grenzübergänge in die Türkei geschleust und dort in Kasernen untergebracht. Insgesamt sollen es rund 1500 Kämpfer sein, die sich an der Bodenoffensive in Jarablus beteiligen sollen. Dazu werden sie von der türkischen Armee ausreichend bewaffnet. Mit der Beteiligung von syrischen Gruppen will die Türkei wohl den Eindruck einer ausländischen Invasion verhindern.

Es sind die gleichen Rebelleneinheiten, die die Türkei seit Jahren in Syrien unterstützte. Es sind bekannte Namen: Failaq al Sham, Sultan Murad, Jabha al Shamiya und auch Ahrar al-Sham, die angekündigt haben, sehr bald schon mit der Armee der Eroberer in der Levante eine einzige Organisation zu bilden. Die Armee der Eroberer hieß vor einem Monat noch Jabhat al-Nusra und war der offizielle Ableger al-Qaidas in Syrien. Von einer Allianz der Türkei mit moderaten Rebellen kann nicht gesprochen werden.
Aber auch diesmal soll der Zweck die Mittel heiligen. Die Türkei will in Syrien unbedingt Fuß fassen und ein Gegengewicht gegen die Kurden schaffen. Milizen der YPG an der türkischen Grenze stuft Ankara als Sicherheitsrisiko ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2016)

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