Zahlreiche Tote bei türkischen Luftangriffen in Nordsyrien

35 Dorfbewohner sollen laut Beobachter bei Angriffen getötet worden sein. Die türkische Streitkräfte berichten von 25 toten kurdischen Rebellen.

Im Kampf gegen kurdische Milizen und Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) dringen die Türkei und ihre Verbündeten immer weiter nach Nordsyrien vor. Türkischen Sicherheitskreisen zufolge wurden am Sonntag Stellungen der Kurdenmiliz YPG mit Kampfflugzeugen und Artillerie angegriffen. Nach Angaben der Streitkräfte kamen dabei 25 kurdische Kämpfer ums Leben.

Bei den Kämpfen wurden zudem Zivilisten getötet, wie die oppositionsnahe "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" berichtete. Im Dorf Jub al-Kousa waren es demnach 20 und in Al-Amarna 15. Die türkische Offensive richte sich bisher vor allem gegen Aufständische, die mit kurdischen Einheiten verbündet seien.

Die türkischen Streitkräfte teilten dagegen offenbar im Hinblick auf die Berichte der Beobachtungsstelle über zivile Opfer mit, sie hätten "alle Vorkehrungen getroffen, dass die in der Region lebende Zivilbevölkerung nicht zu Schaden kommt". In dieser Hinsicht gehe die Armee mit "äußerstem Feingefühl" vor, hieß es unter Berufung auf Quellen im Militär. Die oppositionsnahe Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Informanten in Syrien. Die Angaben sind für Medien meist kaum zu überprüfen.

Flughafen angegriffen

Die türkische Armee und mit ihr verbündete Rebellengruppen hatten am Mittwoch die Grenze nach Syrien überquert, um nach eigener Darstellung dort gegen die Extremisten-Miliz IS zu kämpfen und zu verhindern, dass kurdische Rebellen weitere Gebiete von den Jihadisten erobern. Die Türkei befürchtet, dass ansonsten kurdische Aufständische im eigenen Land erstarken. So wurde Medienberichten zufolge der Flughafen Diyarbakir in der Nacht auf Sonntag von mutmaßlich kurdischen Extremisten mit Raketen angegriffen. Tote und Verletzte gab es demnach nicht.

Zu den Kämpfen in Syrien äußerte sich die YPG-Miliz zunächst nicht. Mit ihr verbündete Rebellen erklärten aber, die YPG habe sich schon vor Beginn der Offensive aus den jetzt angegriffenen Gebieten zurückgezogen.

Nach Erkenntnissen der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle konnte die türkische Allianz die Ortschaften Jub al-Kousa und Al-Amarna einnehmen. Sie hätten dabei gegen Rebellen gekämpft, die dem Bündnis SDF nahestünden, in dem die Kurden eine wichtige Rolle spielen. Das Vorgehen des NATO-Staates Türkei in Syrien ist heikel, weil die USA die SDF-Allianz im Kampf gegen den IS unterstützen.

Türkei will Gebietsgewinne der Kurden verhindern

Die Türkei setzte der Beobachtungsstelle zufolge auch am Sonntag Panzer ein. Bereits am Samstag war ein türkischer Panzer nach offiziellen Angaben von einer Rakete getroffen worden. Ein Soldat sei dabei ums Leben gekommen. Das Geschoß wurde der Türkei zufolge von einem Gebiet aus abgefeuert, das die YPG kontrolliert.

Die türkische Allianz will verhindern, dass die Kurden westlich des Flusses Euphrat weitere Gebiete erobern. Ein Kommandant der Gruppe Sultan Murad sagte der Nachrichtenagentur Reuters, man rücke in Richtung Manbij nach Süden vor. Kurdische Kämpfer hatten die Stadt erst in diesem Monat mit Unterstützung der USA vom IS erobert. Der Kommandant erklärte weiter, man wolle auch gegen den IS weiter im Westen vorgehen.

Regierungstruppen übernehmen Rebellenhochburg

In einem neuen Anlauf für eine Waffenruhe konnten US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow nach eigenen Angaben eine Reihe von Hindernissen aus dem Weg räumen. Sie einigten sich am Freitagabend in Genf im Grundsatz auf einen neuen "Weg" zu einem Ende der Kämpfe, wie Kerry sagte. Noch offene Fragen sollen Experten in den kommenden Tagen klären. Bisher gelang es allerdings nicht einmal, eine 48-stündige "humanitäre" Feuerpause für das belagerte Aleppo durchzusetzen, um den Menschen dort zur Hilfe zu kommen.

Nach vierjähriger Belagerung der Rebellenhochburg Daraya unweit von Damaskus übernahmen Regierungstruppen unterdessen die vollständige Kontrolle über die zerstörte Stadt. Das Staatsfernsehen erklärte am Samstagabend, die "Akte Daraya" sei geschlossen.

Die katastrophale humanitäre Lage in Daraya hatte die Aufständischen gezwungen, ein Abkommen mit der syrischen Führung über die Evakuierung der Stadt zu schließen, deren Einwohner sich im Frühjahr 2011 mit als Erste gegen Machthaber Bashar al-Assad erhoben hatten. Tausende Bewohner wurden in Auffanglagern unter Regierungskontrolle untergebracht, hunderte Rebellenkämpfer in die Rebellenregion Idlib eskortiert.

(APA/DPA/Reuters/AFP)

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