Türkei rüstet sich für langen Krieg

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Dutzende Krankenwagen stehen bereit, große Behandlungszelte sind aufgebaut: In Nordsyrien scheint sich die Türkei auf einen Konflikt mit vielen Opfern einzustellen. Am Sonntag trieb sie ihre Offensive gegen Kurden-Milizen weiter voran.

Soylu ist ein kleines, verschlafenes Dorf, mit wenigen Häusern und gackernden Hühnern im Garten. Nur jetzt ist es mit dem ruhigen Landleben der Bewohner vorbei. Soylu liegt keine fünf Fahrtminuten vom türkischen Grenzübergang ins syrische Jarablus. Damit ist es ein idealer Standort für die türkische Armee und ihre Offensive „Euphrat Schild“, die vergangene Woche gestartet wurde.15 Panzer stehen am Ortsrand von Soylu. Eine ganze Reihe weiterer Militärfahrzeuge ist unter dem Schutz von Bäumen versteckt. Und unweit der Hauptstraße sind gleich mehrere große Behandlungszelte und Container aufgebaut.

Hier können zahlreiche Verwundete und auch Flüchtlinge aufgenommen werden. Ein Gabelstapler lädt gerade von einem Lastwagen verschweißte Paletten mit Wasserflaschen ab. Unmittelbar dahinter stehen auf dem Gelände, dicht aneinander geparkt, mindestens 40 Rettungswagen. „Sie hören von mir kein einziges Wort“, sagt der Verantwortliche des türkischen Nationalen Medizinischen Rettungsteams (UMKE). Sofort ist der Sicherheitsdienst zu Stelle und führt mit unmissverständlicher Geste, die keine Widerrede duldet, zum Auto.

Angriff auf Flughafen in Türkei

Aber auch ohne jede Auskunft, die Installationen sprechen für sich. Die Türkei rüstet sich für einen langen Konflikt mit vielen Opfern und auch Flüchtlingen aus Syrien. Am Samstag hatte es bereits den ersten Toten und drei Verwundete unter türkischen Soldaten gegeben. Ihr Panzer war acht Kilometer südlich der Stadt Jarablus getroffen worden, die am Mittwoch vom Islamischen Staat (IS) zurückerobert worden war.

Der Einsatz türkischer Truppen in Nordsyrien richtet sich in erster Linie nicht gegen den IS. Die Türkei greift gezielt die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) an, die Stellungen südlich von Jarablus ausgebaut haben. Anstatt die chaotische Lage in Syrien zu beruhigen, trägt sie damit zu einer weiteren Eskalation im Bürgerkrieg bei. Und die könnte sich zu einem neuen Krieg im Krieg ausweiten. Für Ankara ist die multi-ethnische Militärallianz des SDF eine terroristische Tarnorganisation. Denn im SDF stellt die Kurdenmiliz YPG den Hauptteil der Kämpfer – neben Arabern, Assyrern und Turkmenen. Die YPG wird als Terrorgruppe eingestuft, da sie ein Ableger der verbotenen türkischen Arbeiterpartei PKK sein soll, die seit 1984 einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führt. Erst in der Nacht auf Sonntag sollen mutmaßliche PKK-Kämpfer den Flughafen der südosttürkischen Stadt Diyarbakir mit Granaten angegriffen haben. Verletzt wurde niemand.

Die SDF haben im Laufe des vergangenen Jahres weite Teile in Nordsyrien entlang der türkischen Grenze vom IS zurückerobert. Dabei wurde der Euphrat Richtung Westen überschritten. Die Türkei betrachtet das als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Ankara will auf Verhandlungen nicht warten, obwohl die USA auf die SDF Einfluss nehmen könnten. Denn ohne die Luftunterstützung des Pentagons wäre es mit den militärischen Erfolgen der Allianz vorbei. Die Türkei scheint auf eigene Faust und mit aller Gewalt die SDF über den Euphrat zurückzutreiben zu wollen.

Berichte über getötete Zivilisten

Auch am Sonntag ging die Offensive weiter. Es gab schwere Gefechte. Türkische Kampfjets sollen dabei Angriffe auf zwei Dörfer südlich von Jarablus geflogen sein. Nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte starben bei den Luftschlägen insgesamt 35 Zivilisten. Beide Dörfer, Jub al-Kousa und al-Amarna, hatte das Bündnis SDF kontrolliert. Nach Angaben der Beobachtungsstelle sind die Orte nun unter Kontrolle der türkischen Allianz. Bestätigen ließ sich die Angaben zunächst nicht.

Die türkische staatliche Nachrichtenagentur, Anadolu Ajansi, berichtete zwar unter Berufung auf das Militär ebenfalls von Gefechten im Bereich der Grenzstadt Jarablus. 25 YPG-Kämpfer seien dabei getötet und fünf Gebäude zerstört worden. Die Kurdenmilizionäre hätten zuvor Feuer eröffnet. Von zivilen Opfern war aber keine Rede. Im Gegenteil: Die Streitkräfte hätten „alle Vorkehrungen getroffen, dass die in der Region lebende Zivilbevölkerung nicht zu Schaden kommt“, zitierte die Nachrichtenagentur einen Militär. Die Armee gehe in dieser Hinsicht mit „äußerstem Feingefühl“ vor.

In ihrer neuen Offensive macht die Türkei auch mit der Freien Syrischen Armee (FSA), aber auch mit der radikalislamistischen Gruppe Ahrar al-Sham gemeinsame Sache. Das macht die Sache so heikel. Einzelne FSA-Gruppen und Islamisten hatten sich im Lauf der Bürgerkriegs nur vereinzelte Gefechte mit den SDF und der kurdischen YPG geliefert. Das kann sich nun ändern. Sie stehen sich wegen der türkischen Offensive auf dem Schlachtfeld nun direkt gegenüber. Es könnte zu einem neuen brutalen Krieg im Krieg führen. Die Türkei hat sich darauf schon eingestellt, wie die umfangreichen medizinischen Installationen und Krankenwagen in Soylu nahelegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2016)

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