Deutschland: Ist Merkel amtsmüde?

Gehen oder bleiben? Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt Deutschland derzeit Rätsel auf.
Gehen oder bleiben? Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt Deutschland derzeit Rätsel auf.(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Kanzlerin Angela Merkel lässt offen, ob sie bei der Bundestagswahl 2017 noch einmal kandidiert. Mit ihrer Flüchtlingspolitik hat sich die Kanzlerin eine Reihe von Problemen eingehandelt.

Berlin. Ein Satzungetüm gibt Deutschland seit Sonntag Rätsel auf: „Über die Frage, wie ich mich bezüglich einer weiteren Kanzlerkandidatur entscheide, werde ich zum gegebenen Zeitpunkt dann auch Bericht erstatten oder eine Aussage machen.“ Angela Merkel hat diesen Satz gesagt, im ARD-Sommerinterview, und damit Spekulationen befeuert, die den politmedialen Betrieb seit Tagen beschäftigen: Ist die Kanzlerin amtsmüde?

Eigentlich hat niemand daran gezweifelt, dass sich Merkel bei der Bundestagswahl in einem Jahr für eine vierte Amtsperiode bewerben und die Wahl gewinnen wird. In den Umfragen lag die CDU über 40 Prozent, weit vor der SPD. Dank Merkel, die beliebter als die anderen Regierungschefs in Europa war.

Die Betonung liegt auf: war. Die Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 hat vieles, wenn nicht alles verändert. Damals hat Merkel beschlossen, die Grenzen für jene Flüchtlinge zu öffnen, die in Ungarn festgehalten wurden. „Wir schaffen das“ gab sie als Parole aus. Die Motive der sonst eher zögerlichen Kanzlerin sind bis heute nicht restlos geklärt. Waren es die schrecklichen Bilder dieses Sommers, die Leichen im Lkw bei Parndorf, der tote syrische Bub am Strand, die Merkel beeinflusst haben? Handelte es sich um eine Trotzreaktion auf die Fremdenfeindlichkeit in manchen Regionen Deutschlands? Oder war es einfach Haltung, Überzeugung?

Merkels einsame Entscheidung hatte, in jedem Fall, weitreichende Konsequenzen, auch für sie selbst. Europa (auch Österreich) arbeitet sich gerade an ihr ab, und im eigenen Land mehren sich die Zweifel an der Kanzlerin. Nur noch jeder zweite Wähler wünscht sich, dass sie nächstes Jahr weitermacht. Die CDU ist in den Umfragen auf 35 Prozent abgestürzt. Und das Verhältnis mit der Schwesterpartei in Bayern, der CSU, ist zerrüttet.

Zwischen CSU und AfD

Wobei längst nicht mehr so viele Flüchtlinge wie im Vorjahr nach Deutschland kommen. Die Balkanroute ist geschlossen, die EU profitiert vom Abkommen mit der Türkei, und an der deutsch-österreichischen Grenze wurden zuletzt 10.000 Flüchtlinge abgewiesen. Die Kanzlerin habe ihre Position zwar „der unseren angenähert“, sagte der bayrische CSU-Politiker und Finanzminister Markus Söder am Wochenende dem „Spiegel“. Aber eben noch nicht weit genug. Man warte auf die Botschaft: „Wir haben verstanden.“

Eine andere – aus Merkels Sicht – unerwünschte Nebenwirkung sind die Stimmenzuwächse der AfD. Bei der Landtagswahl am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern kämpft die CDU mit den Rechtspopulisten um Platz zwei (hinter der SPD). Die Kanzlerin fährt diese Woche nach Schwerin und Stralsund, um zu retten, was noch zu retten ist. Sie hat auch persönliche Reputation zu verlieren, denn in Mecklenburg-Vorpommern, zwischen Rügen und Greifswald, befindet sich ihr Wahlkreis. Wird die CDU am Sonntag nur Dritte, heißt die Schuldige Angela Merkel.

Seehofer: "Dämliche Diskussion"

Ohne Flüchtlingskrise wäre die K-Frage wohl schon entschieden. Merkel hätte längst erklärt, dass sie weitermache. Aber es fehlt ihr jetzt an Rückhalt, vor allem aus Bayern. Die CSU will sich erst im Frühjahr festlegen, ob sie die Kanzlerin erneut unterstützt oder einen eigenen Kandidaten aufstellt. Und deshalb spielt nun auch Merkel auf Zeit.

Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat kein Verständnis für die aktuelle Merkel-Debatte. "Ich halte das für eine selten dämliche Diskussion", sagte der bayerische Ministerpräsident der "Süddeutschen Zeitung" (Dienstag). Die Union werde am vereinbarten Fahrplan festhalten. Dies habe er am Sonntag mit Merkel erneut abgesprochen. Demnach wollen CDU und CSU zunächst unabhängig voneinander festlegen, mit welchen Inhalten sie in die Bundestagswahl 2017 ziehen. Anschließend wollen sie ihre Ziele auf Gemeinsamkeiten überprüfen und erst dann Personalfragen klären. Diese Abfolge sei auf der Unions-Klausur Ende Juni in Potsdam vereinbart worden, und genau so werde sie auch eingehalten, sagte der CSU-Chef.

Das Problem dabei ist, dass die CDU langsam unruhig wird. Beim Parteitag im Dezember steht Merkels Wiederwahl als Vorsitzende an. Spätestens dann wüssten ihre Parteifreunde gern Bescheid. Womöglich fällt bis dahin auch die Entscheidung. Denn Merkel hat am Sonntag klargestellt, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz zusammengehörten.

Alles nur strategisches Kalkül?

Vielleicht steckt hinter der mutmaßlichen Amtsmüdigkeit ja Kalkül. Merkel macht sich rar. Lässt sich bitten. Und baut so Druck auf die CSU auf, weil sie weiß, dass es in der Union keine adäquate Alternative zu ihr gibt.

Sollte das ihr Plan sein, geht er gerade auf. Führende CDU-Politiker sprachen sich noch am Sonntag für den Verbleib der Kanzlerin aus. Angela Merkel sei die Richtige, sagte die saarländische Ministerpräsidentin, Annegret Kramp-Karrenbauer, der „FAZ“. Ähnlich äußerten sich Hessens Ministerpräsident, Volker Bouffier, und der CDU-Chef von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet. Am Montag, vor einer Sitzung des CDU-Präsidiums, erklärten dann Vizeparteichefin Julia Klöckner, und Bundestagspräsident Norbert Lammert, dass sie mit Merkels Kandidatur rechneten. Man könne sich niemanden sonst vorstellen.

Und dann wäre da noch ein Argument für ein Dacapo Merkels: Hört sie auf, setzt sie sich dem Vorwurf aus, ihr Land im Stich gelassen zu haben. Ihre Kritiker bekämen indirekt recht. So möchte niemand abtreten.

AUF EINEN BLICK

Angela Merkel lässt bis auf Weiteres offen, ob sie bei der Bundestagswahl 2017 noch einmal als Spitzenkandidatin der Union kandidieren wird: Sie werde ihre Entscheidung zum gegebenen Zeitpunkt bekannt geben, sagte die Kanzlerin am Sonntag im Sommerinterview mit der ARD. Hintergrund dürfte die innerparteiliche Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik sein. Die bayrische CSU hat noch nicht entschieden, ob sie Merkel erneut unterstützen oder einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen wird. Eine Vorentscheidung könnte beim CDU-Parteitag im Dezember fallen, bei dem Merkels Wiederwahl als Parteivorsitzende ansteht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2016)

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