Völkermord-Resolution: Geht Berlin vor Erdogan in die Knie?

Demonstration vor dem Beschluss des Bundestages im Juni
Demonstration vor dem Beschluss des Bundestages im Juniimago/Markus Heine
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Laut Informationen des "Spiegel" will sich die deutsche Regierung von der Armenier-Resolution des Bundestages distanzieren.

Die deutsche Regierung geht offenbar mit Rücksicht auf die Türkei auf Abstand zur umstrittenen Resolution des Parlaments zum Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte am Freitag in Berlin: "Der Deutsche Bundestag hat jedes Recht und die Freiheit, sich zu politischen Fragen zu äußern." Der Bundestag sage aber auch selbst, dass "nicht jede Resolution eine rechtliche Bindung" habe.

Die genaue Haltung der Regierung ließ Steinmeier zunächst offen. Eine ausführlichere Stellungnahme wird von Regierungssprecher Steffen Seibert erwartet.

Nach einem Bericht von "Spiegel Online" soll Seibert sich im Namen der Regierung von der Resolution distanzieren, die die Verbrechen an den Armeniern im Ersten Weltkrieg als Völkermord eingestuft hatte. Die wegen der Resolution verärgerte Türkei verweigert deutschen Abgeordneten seit Verabschiedung der Resolution Anfang Juni den Besuch bei den in auf der NATO-Basis Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten. Von dort aus starten deutsche Aufklärungs-Jets, die Informationen für den Kampf gegen die Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) im Irak und Syrien liefern sollen.

"Völlig falsches Signal"

In der CDU/CSU-Fraktion des Bundestags sorgte der "Spiegl Online"-Bericht für Irritationen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Stephan Harbarth sagte am Freitag vor Beginn einer Sitzung des Vorstands in Berlin, die Unionsfraktion habe ihre Position in der Abstimmung über die Resolution zum Ausdruck gebracht, "die Position der Unionsfraktion bleibt unverändert". Im Vorstand der Unionsfraktion hieß es, eine Distanzierung durch Merkel wäre "das völlig falsche Signal" an den türkischen Präsidenten Tayyip Recep Erdogan, der vor allem türkischstämmige Bundestagsabgeordnete nach der Resolution persönlich angegriffen hatte. 

Auch Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) lehnte eine mögliche Distanzierung ab. Auch wenn sie selbst nicht dem Bundestag angehöre, "stehe ich aber als Mitglied der Bundesregierung hinter diesem Beschluss", sagte Schwesig am Freitag dem Sender N24.

Der Bundestag bezeichnet in seiner Entschließung das Vorgehen im Osmanischen Reich gegen die Armenier vor mehr als 100 Jahren in Einklang mit den meisten Historikern als Völkermord. Nach armenischer Darstellung starben ab dem 24. April 1915 bei der Verfolgung und Vertreibung der Armenier auf dem Gebiet der heutigen Türkei bis zu 1,5 Millionen Armenier im Zuge einer gezielten Vernichtungskampagne. Betroffen waren zudem Aramäer und Griechen. Die Türkei spricht dagegen von 300.000 bis 500.000 getöteten Armeniern und ebenso vielen Toten aufseiten der Türken bei bürgerkriegsartigen Kämpfen und Hungersnöten. Den Begriff Völkermord (Genozid) lehnt die Türkei ab.

Auszug aus der Resolution

"Im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes begann am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier. Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt.

Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch vonseiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen.

Merkel hatte zwar an der Abstimmung im Bundestag nicht teilgenommen, bei der vorherigen Probeabstimmung in der Fraktion aber mit den Abgeordneten für die Resolution gestimmt. Eine Regierungssprecherin hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Merkel die Resolution unterstützt habe.

(APA/DPA)

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