Der Libertäre Gary Johnson und die Grüne Jill Stein hoffen, von der Unbeliebtheit der Hauptkandidaten Hillary Clinton und Donald Trump profitieren zu können. Ihr Einfluss auf den Wahlausgang dürfte jedoch klein sein.
Washington. In seiner 1955 erschienen Studie „The Age of Reform“ befasste sich der amerikanische Historiker Richard Hofstadter mit den Bedingungen politischer Erneuerung in den Vereinigten Staaten. Die Rolle dritter Parteien, die den dem politischen System eingeschriebenen Dualismus herausfordern, sieht er nüchtern. „Wenn die Forderungen einer dritten Partei genügend bekannt werden, werden sie von einer der beiden Hauptparteien übernommen, und sie verschwindet“, hielt Hofstadter fest. „Dritte Parteien sind wie Bienen: Sobald sie gestochen haben, sterben sie.“
Sechs Jahrzehnte später trifft dieses Aperçu noch immer den Kern der Dinge. Weder die libertäre noch die grüne Partei werden den nächsten Präsidenten der USA stellen. Doch beide Kleinparteien profitieren von der rekordverdächtigen Unbeliebtheit der Hauptkandidaten der Demokraten und Republikaner. Im Durchschnitt aller Umfragen der letzten Augustwoche erklärten 54,9 und 59,1 Prozent der Befragten, keine gute Meinung von Hillary Clinton und Donald Trump zu haben. Der nächste Präsident (oder die erste Präsidentin) wird beim Volk so unpopulär sein wie keiner ihrer Vorgänger an deren erstem Tag im Weißen Haus.
Der libertäre Strahlemann
„Es ist ein verrücktes Jahr, so verrückt, dass ich Präsident werden könnte“, frohlockte Gary Johnson, der 63-jährige frühere republikanische Gouverneur des Teilstaates New Mexico im Gespräch mit der BBC. Johnson, der den gemäßigten früheren Gouverneur von Massachusetts, William Weld, als Vizekandidaten gewinnen konnte, bekam vor vier Jahren bei seinem ersten Antritt als Präsidentschaftskandidat der Libertären nicht einmal jede hundertste Stimme.
Das war noch immer das beste Ergebnis, das ein Präsidentenkandidat der 1971 gegründeten Partei der Freidenker und Staatsskeptiker erhalten hatte. Heuer wird Johnson dieses Ergebnis ziemlich sicher übertreffen. Im von Real Clear Politics ermittelten Durchschnitt der Umfragen liegt er bei 8,2 Prozent. Am stärksten ist er in seinem Staat New Mexico sowie nebenan in Utah, wo er jeweils zwischen zehn und 16 Prozent in den Umfragen erhält. Allerdings liegt Trump in Utah noch ebenso klar vor Clinton, wie Clinton in New Mexico vor Trum rangiert.
Johnson ist weltanschaulich eher am linken Rand des libertären Meinungsbogens beheimatet: Er befürwortet die Freigabe von Cannabis und Marihuana (das er bis einige Monate vor Beginn seiner Wahlkampagne auch selbst konsumierte), möchte die Todesstrafe abschaffen, die Pensionszahlungen der staatlichen Altersvorsorge Social Security an Reiche kürzen und alle Steuern durch eine Verbrauchssteuer ersetzen.
Johnson eröffnet vielen Republikanern, die von Trump ebenso abgestoßen sind wie von Clinton, eine Option zur Gewissensberuhigung. Eine echte Chance hat er nicht. Dazu müsste er in mehreren Umfragen seinen Zuspruch auf mindestens 15 Prozent verdoppeln, um zu den TV-Debatten eingeladen zu werden. Johnson weiß um diese Hürde: „Wenn man nicht in den Debatten ist, gibt es keine Chance zu gewinnen“, sagte er im Juli zum „New Yorker“.
Die grüne Putin-Versteherin
Jill Stein wiederum, die 66-jährige Kandidatin der Green Party, hofft am linken Rand der Demokraten Protestwähler zu sammeln. Die pensionierte Ärztin rangiert derzeit bei 3,3 Prozent Unterstützung im Volk. Sie hat sich mit Mutmaßungen darüber, dass drahtloses Internet in Schulgebäuden die Gehirne der Kinder schädigt, ebenso selbst in ein obskures Eck gespielt wie mit der Argumentation, dass man Clinton viel stärker als Trump bekämpfen müsse. Ihre Begründung in einem Interview mit dem Radiosender WGBH: „Noch einen Clinton ins Weiße Haus zu bringen wird die Flammen des Rechtsextremismus anfachen. Wir wissen das seit Langem, seit Nazi-Deutschland.“
Im Dezember vorigen Jahres nahm Stein an der Gala zu Ehren des russischen Propagandasenders RT in Moskau teil. Dort fand sie sich am selben Tisch mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin – und mit Michael Flynn, Trumps Sicherheitsberater und früherem Direktor des US-Militärgeheimdienstes.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2016)