Kroatien: Neue Runde im Koalitionspoker

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Nach der zweiten Parlamentswahl innerhalb eines Jahres stehen die Zeichen wieder auf schwierige Koalitionsverhandlungen: Eine Große Koalition gilt als einzige Chance.

Belgrad/Zagreb. Es ist die zweite Parlamentswahl in nur zehn Monaten: Doch in welche Richtung der angeschlagene EU-Neuling politisch steuert, war auch nach Schließung der Wahllokale (erste Prognosen lagen bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vor) noch völlig ungewiss: Nicht nur die unklaren Mehrheitsverhältnisse, sondern auch wenig kompatible Parteien und unzuverlässige Wahlprognosen lassen die Spekulationen über die Zusammensetzung der künftigen Regierung des Adriastaats kräftig ins Kraut schießen.

Ein zäher Koalitionspoker gilt jedenfalls als ausgemacht. Ob das zu erwartende Tauziehen dem Adriastaat tatsächlich eine neue Regierung bescheren wird, ist hingegen keineswegs gewiss. Selbst erneute Neuwahlen werden in Zagreb nicht ausgeschlossen.

Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović dürfte zunächst dem stärksten Wahlbündnis den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen: Bis zuletzt lag in fast allen Umfragen die von der sozialdemokratischen SDP geführte Nationale Koalition mit Ex-Premier Zoran Milanović als Spitzenkandidat knapp vor der konservativen HDZ unter Führung des bisherigen Europaparlamentariers Andrej Plenković. Dem als starrsinnig und wenig kooperativ geltenden Milanović dürfte es jedoch schwerfallen, die klerikal orientierte Protestpartei Most (Brücke) als Mehrheitsbeschaffer zum Einstieg ins gemeinsame Koalitionsboot zu bewegen.

Sprunghafte Polit-Amateure

Sowohl die HDZ als auch die Most haben im Wahlkampf signalisiert, sich am liebsten an einer Neuauflage ihrer nach weniger als sechs Monaten kläglich gescheiterten Koalitionsehe versuchen zu wollen. Doch nicht nur die zu erwartenden Verluste für Most dürften der HDZ die Schaffung einer Mehrheit erschweren – und sie zu Gesprächen mit weiteren Kleinparteien zwingen. Bei ihrem Regierungsdebüt haben sich die sich als Reformer verstehenden Polit-Amateure der Most als reichlich sprunghafte und kaum berechenbare Partner erwiesen. Wenig realistisch wirken die Forderungen der Politnovizen auch vor dem nun bevorstehenden Koalitionsgerangel. So solle ein künftiger Most-Partner schon vor der Regierungsbildung die Absegnung von sieben Dringlichkeitsgesetzen im Parlament ermöglichen – darunter die Aufkündigung des Fischerei-Abkommens mit der EU.

Analysten schließen nicht aus, dass die unklaren Mehrheitsverhältnisse und das Erstarken weiterer Protestparteien im neuen Sabor (Parlament) die großen Volksparteien zu einer Großen Koalition zwingen könnten: Bisher hatten sich die Erzfeinde HDZ und SDP nur zu Beginn des Kroatien-Kriegs in der sogenannten Regierung der nationalen Einheit des damaligen HDZ-Premiers Franjo Gregurić vom Sommer 1991 bis Anfang 1992 die Regierungsgeschäfte geteilt. Große Reformsprünge wären von einer Großen Koalition kaum zu erwarten, dafür aber wohl eine effiziente Aufteilung der Futtertröge. Die Möglichkeit eines Schulterschlusses mit dem Erzfeind wurde von beiden Parteien im Stimmenstreit zwar ebenso energisch wie wortreich ausgeschlossen. Doch inoffiziell wird in beiden Lagern eingeräumt, dass eine Große Koalition zwar denkbar, aber die Zeit dafür vermutlich noch nicht reif sei.

Eine Große Koalition sei die „letzte Möglichkeit“, zitiert die Zeitung „Jutarnji List“ einen anonymen HDZ-Politiker. Doch für diesen Schritt wären vermutlich erst erneute Neuwahlen nötig: „Wir müssen unsere Wähler auch darauf vorbereiten – und zeigen, dass wir alle anderen Optionen versucht haben.“ Das Webportal Index.hr weist derweil darauf hin, dass zumindest die gemeinsame Polit-Vergangenheit im ex-jugoslawischen Bund der Kommunisten die Erzfeinde durchaus eine: Eine Große Koalition könnte zumindest die anhaltenden Dauerspannungen in dem geteilten Land vorläufig befrieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2016)

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