Berlins Bürgermeister: Kein Häupl und kein Wowereit

Election poster of top candidate of Social Democratic Party Mueller and Berlin´s interior minister Henkel of the Christian Democratic Union for local elections are pictured in Berlin
Election poster of top candidate of Social Democratic Party Mueller and Berlin´s interior minister Henkel of the Christian Democratic Union for local elections are pictured in Berlin(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Der Berliner Bürgermeister, Michael Müller, kämpft am Sonntag um Platz eins für die SPD – und für die Emanzipation von seinem Vorgänger.

Berlin. Wer Michael Häupl noch nie live erlebt hat, kann sich zumindest vorstellen, wie es ist, wenn der Wiener Bürgermeister im Wahlkampf einen Markt besucht. Wie er das Areal nicht betritt, sondern mit einer Hand in der Hosentasche regelrecht erscheint. Wie er ein paar Lehrerwitze macht und das eine oder andere Gläschen hebt.

Sein Kollege in Berlin, auch ein Michael, aber Müller mit Nachnamen, ist so ziemlich das Gegenteil von Häupl. Es fehlt ihm die schwerelose Leichtigkeit des Seins. Als Müller an einem sonnigen Septembernachmittag den Wochenmarkt am Arkonaplatz in Berlin-Mitte betritt, muss er erst eine Rede halten, damit man ihn bemerkt. Danach dreht er eine Marktrunde, als würde er nur schnell Brot einkaufen wollen. Meist schaut er auf die Produkte oder zu Boden, er schüttelt keine Hände, sondern wartet, bis ihn jemand anspricht. Aber das dauert.

Irgendwann stellt sich ihm ein Jungvater in den Weg, der nicht versteht, warum die Gebühren für die Berliner Kindertagesstätten abgeschafft wurden. Er würde gern zahlen, wenn die Qualität dadurch verbessert würde, sagt er. „Hat denn die Stadt plötzlich so viel Geld?“ Müller weiß nicht, was er sagen soll, also wiederholt er sein Mantra vom gebührenfreien Berliner Bildungsweg, von der Kita bis zur Uni. Doch als der Mann, der von sich sagt, ein langjähriger SPD-Wähler zu sein, dagegenhält, gibt Müller auf: „Dann sind wir da unterschiedlicher Meinung. Einen schönen Tag noch.“

Einen Wähler weniger – dabei wäre dieser Mann noch zu holen gewesen. Müller muss aufpassen, dass ihm das nicht zu oft passiert. Denn in den letzten Umfragen vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am Sonntag liegt seine SPD zwischen 21 und 24 Prozent, nicht weit vor der CDU und den Grünen. Das Wahlergebnis aus 2011 – 28,3 Prozent – ist außer Reichweite. Es wurde noch von einem Mann geholt, der heute Müllers größtes Problem darstellt: Klaus Wowereit. Der neue Bürgermeister würde sich gern von seinem Vorgänger emanzipieren, aber er schafft es nicht.

Es gibt da diese Anekdote, die Müller selbst erzählt hat, kurz vor seinem Amtsantritt vor zwei Jahren. „Ich gebe zu“, sagte er da über sich, „der Glamour-Faktor hat noch Luft nach oben.“ Gerade eben sei ihm das wieder bewusst geworden, als er „mit dem Klaus“ unterwegs war. Innerhalb von zehn Minuten habe Wowereit alle Models geküsst. Würde er auch gern machen, sagte Müller. Aber als der Klaus den Models dann gesagt habe, dieser Mann hier sei vielleicht der nächste, den sie küssen müssten, „sind die doch einigermaßen verzweifelt gewesen“.

Schweres Erbe

Hinzu kommt, dass Müller immer schon da gewesen ist, zehn Jahre als Fraktionschef der Berliner SPD, drei Jahre als Senator für Stadtentwicklung, wenn auch nur in der zweiten Reihe, hinter Wowereit. Aber die Wähler geben ihm die Mitschuld an den zahlreichen Problemen dieser viel zu schnell wachsenden Stadt, an der Bürokratie, dem Wohnungsmangel, den kaputten Schulgebäuden, dem ewigen Flughafenprojekt Ber. Kann man diesem unscheinbaren und etwas unentspannten Mann vertrauen?, fragen sie sich.

Jenen, die es hören wollen, erzählt Müller gern seine Geschichte. Wie er eine Lehre zum Kaufmann gemacht hat. Wie er dann eine Druckerei gegründet und geführt hat, bis er Senator wurde. Und dass er immer noch in Tempelhof lebt, mit seiner Frau und den beiden Kindern. Als würde er damit sagen wollen: „So bin ich eben.“ So normal. So unspektakulär.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb unlängst, Müller trete so auf, als hätte er sich „vorsätzlich in einen Riesenbottich mit Charisma-Entferner fallen lassen“. Das war nicht nett. Und sicher übertrieben. Aber im Kern wohl nicht so falsch.

Aber vielleicht braucht Berlin jetzt einen wie ihn: keinen Partykönig, sondern einen biederen Arbeiter. Dass er etwas tun möchte, hat der 51-Jährige schon bewiesen. Die Arbeitslosigkeit wurde halbiert, der Schuldenberg um drei Milliarden Euro abgebaut, auf nunmehr 56 Milliarden. Es wird wieder gebaut, in die Infrastruktur investiert. Die Stadtverwaltung bekam frisches Personal. Und der neue Flughafen soll 2017 endlich eröffnet werden.

Allerdings kam mit den Flüchtlingen ein neues Problem hinzu, das sich unter den drei Buchstaben AfD subsumieren lässt. Die Rechtspopulisten sind im traditionell linksliberalen Berlin zwar nicht so stark wie anderswo, aber mit prognostizierten 14 bis 15 Prozent stark genug, um allen Parteien wehzutun, auch der SPD. Das führt höchstwahrscheinlich dazu, dass sich nach der Wahl keine Zweierkoalition mehr ausgeht, weder die Große, die Müller nicht mehr will, noch Rot-Grün, sein Wunschbündnis. Er wird also einen dritten Partner brauchen, und da kommt eigentlich nur die Linkspartei infrage.

Rot-Rot-Grün also. Diese Sorgen zumindest hat sein Kollege in Wien nicht. Oder noch nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2016)

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