Versehentliche US-Luftangriffe auf syrische Armee

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Dem Pentagon zufolge ging die US-geführten Koalition davon aus, IS-Stützpunkte zu attackieren. Moskau fordert eine umfassende Untersuchung.

Ein offenbar versehentlicher Luftangriff der US-geführten Koalition auf die syrische Armee hat zu heftigen gegenseitigen Vorwürfen zwischen Washington und Moskau geführt. Bei dem Angriff im Osten des Landes wurden nach russischen Angaben 62 syrische Soldaten getötet und hundert weitere verletzt.

Moskau verlangte am Sonntag eine umfassende Untersuchung des Vorfalls, für den sich die USA bei einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates entschuldigten.

Nach russischen Angaben drangen zwei F-16- und zwei A-10-Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition vom Irak aus in den syrischen Luftraum ein. Die Jets hätten vier Angriffe gegen von der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) umzingelte Stellungen der Regierungstruppen nahe dem Flughafen von Deir ez-Zor geflogen.

Syrische Armee war gezwungen Posten aufzugeben

Nach Angaben der syrischen Armee mussten sich ihre Soldaten nach den Luftangriffen zurückziehen und zwei strategisch wichtige Anhöhen in der Nähe des Flughafens dem IS überlassen. Am Sonntag hätten die Truppen aber eine neue Gegenoffensive gestartet "und einigen Boden zurückgewonnen", hieß es aus Armeekreisen. Dabei seien die Soldaten durch Luftangriffe Russlands unterstützt worden.

Die Anhöhen in der Nähe des Flughafens sind von strategischer Bedeutung: Sollte der IS die Kontrolle behalten, könnten die Jihadisten alle startenden und landenden Flugzeuge von dort aus unter Beschuss nehmen. Am Sonntag vermeldeten die Extremisten, sie hätten bei Deir ez-Zor ein syrisches Kampfflugzeug abgeschossen.

Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana bestätigte den Abschuss einer Maschine und den Tod des Piloten, sie machte aber keine Angaben, wer verantwortlich war. Die Stadt Deir Essor und der Flughafen sind unter Regierungskontrolle, sie werden aber seit 2012 vom IS belagert und sind auf Versorgung durch die Luft angewiesen.

Pentagon: Aktion sofort nach Bekanntwerden des Irrtums abgebrochen

Nach Angaben des Pentagons gingen die Koalitionstruppen bei den Luftangriffen davon aus, dass sie IS-Stellungen attackierten. Die Koalition habe die Luftangriffe "sofort eingestellt", als sie von russischer Seite darüber informiert worden sei, dass sie möglicherweise auf syrisches Militär ziele.

US-Botschafterin Samantha Power sagte bei der UNO in New York, die USA bedauerten "den Verlust von Menschenleben" und würden den Vorfall untersuchen. An diesem war auch ein australisches Flugzeug beteiligt, wie die Regierung mitteilte. Sie sprach den Familien "von jedem getöteten oder verletzten Syrer" ihr Beileid aus.

Power griff in ihrem Statement zugleich Russland, das die Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates verlangt hatte, scharf an und warf ihm "Doppelmoral" und "Effekthascherei" vor. Die syrische Regierung greife "mit einer beängstigenden Regelmäßigkeit bewusst zivile Ziele an", und Russland tue nichts, um dies zu verhindern. Beschlüsse wurden vom Sicherheitsrat nicht gefasst.

In Moskau forderte das Außenministerium eine umfassende Untersuchung des Vorfalls. "Das Handeln der Piloten lag - wenn sie, wie wir hoffen, nicht direkte Anweisungen von Washington bekamen - irgendwo zwischen krimineller Fahrlässigkeit und direkter Begünstigung von IS-Terroristen." Wenn die USA nicht die gemäßigten Rebellen in Syrien zur Einhaltung des Waffenstillstandes brächten, "dann ist die Umsetzung der US-russischen Vereinbarungen in Gefahr".

Waffenstillstand bröckelte bereits am Freitag

Der Waffenstillstand wurde am Wochenende nach Berichten von AFP-Korrespondenten und Aktivisten zunehmend gebrochen. Zudem haben die ebenfalls vereinbarten Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung in Syrien bisher nicht begonnen, weil die UNO zuvor Sicherheitsgarantien für ihre Konvois haben möchte. US-Präsident Barack Obama warf der syrischen Führung vor, die humanitäre Hilfe bewusst zu blockieren.

Washington machte zudem eine militärische Kooperation mit Moskau im Kampf gegen Jihadisten davon abhängig, dass die Hilfslieferungen die Bevölkerung erreichen. Eine solche militärische Kooperation wollten Moskau und Washington entsprechend ihrer Einigung eigentlich beginnen, wenn die am Montag in Kraft getretene Feuerpause, die nicht für vom IS gehaltene Gebiete gilt, eine Woche hält.

(APA/AFP)

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